Daniel Amelung, Lars Bachler
Das Wichtigste in Kürze:
1. |
Soweit bei einer Klage gegen eine Sperrerklärung eine Aussetzung des Strafverfahrens nicht erfolgt, muss geprüft werden, ob ggf. ein Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz beim VG zu stellen ist. |
2. |
Statthaft ist – unabhängig von der im Hauptsacheverfahren zu wählenden Klageart – der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO. |
3. |
Durch die einstweilige Regelung des Rechtsverhältnisses darf die Hauptsache nicht vorweggenommen werden. |
Rdn 652
Literaturhinweise:
s. die Hinw. bei → Sperrerklärung, Rechtsmittel, Teil B Rdn 677.
Rdn 653
1. Soweit bei einer Klage gegen eine Sperrerklärung eine Aussetzung des Strafverfahrens nicht erfolgt (s. dazu → Sperrerklärung, Begründetheit einer Klage, Teil B Rdn 619), besteht die Gefahr, dass eine verwaltungsgerichtliche Entscheidung zu spät, nämlich erst nach Erlass eines Strafurteils, ergeht. Um diese Situation – und die Risiken eines Wiederaufnahmeverfahrens – zu vermeiden, muss geprüft werden, ob ggf. ein Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz beim VG zu stellen ist.
Rdn 654
2.a) Statthaft ist – unabhängig von der im Hauptsacheverfahren zu wählenden Klageart (VG Stuttgart NJOZ 2006, 4582, 4583) – der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO, da es in der Sache um die Erweiterung der Rechtsstellung des Antragstellers und nicht um die Abwehr eines Eingriffs in eine bereits bestehende rechtlich geschützte Position geht (siehe etwa BVerwG DVBl 2006, 869; NJW 2004, 963; OVG Lüneburg NJW 2001, 1665; VG Berlin, Beschl. v. 17.3.2003 – 34 A 41/03; VG Schwerin NVwZ 2007, 852). Eine einstweilige Anordnung kann ergehen, wenn der Antragsteller einen Anordnungsanspruch (vgl. Rdn 655) und einen Anordnungsgrund (Rdn 656) glaubhaft macht.
Rdn 655
b) Ein Anordnungsanspruch für den Angeklagten kann sich aus seinem Anspruch auf ein faires Verfahren und – insoweit auch für die weiteren Verfahrensbeteiligten, insbesondere den Nebenkläger – dem Recht ergeben, durch Beweisanträge und -anregungen auf den Strafprozess einzuwirken (BVerwG NJW 2004, 963; Beschl. v. 10.2.2003 – 6 VR 2/03). Wie bei der Zulässigkeit einer verwaltungsgerichtlichen Klage gegen eine Sperrerklärung ist aber auch hier zu berücksichtigen, dass den Verfahrensbeteiligten im Strafverfahren kein eigener Anspruch gegen die sperrende Behörde auf Vorlage bestimmter Akten oder die Erteilung bestimmter Auskünfte zusteht. Ein Anordnungsanspruch besteht daher nur insoweit, als das Strafgericht zuvor das gesperrte Beweismittel für das Verfahren angefordert hat (BVerwG NJW 2004, 963; s. näher → Sperrerklärung, Zulässigkeit einer Klage, Teil B Rdn 696). Gericht und StA stehen dagegen keine subjektiv-öffentliche Rechte zu, sodass für sie eine Inanspruchnahme einstweiligen verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes ausscheidet.
Rdn 656
c) Ein Anordnungsgrund ist gegeben, wenn eine besondere Eilbedürftigkeit besteht, die eine einstweilige Anordnung erforderlich erscheinen lässt (s. näher u. Rdn 657 sowie allgemein Redeker/von Oertzen, VwGO, 15. Aufl. 2012, § 123 Rn 16). Er entfällt nicht, wenn das Verfahren vor dem Tatgericht, etwa mit der Verkündung eines Urteils, abgeschlossen ist, solange dieses Urteil noch mit einem Rechtsmittel angegriffen wird, das im Erfolgsfall zu einer erneuten Beweisaufnahme unter Einschluss des gesperrten Beweismittels führen kann (VGH Mannheim NJW 2013, 102, 103).
Rdn 657
3. Durch die einstweilige Regelung des Rechtsverhältnisses darf die Hauptsache grds. nicht vorweggenommen werden. Ordnet das VG im Wege der einstweiligen Anordnung die Aufhebung einer Sperrerklärung an oder stellt es sonst ihre Rechtswidrigkeit fest, besteht für die Behörde kein Recht, die Vorlegung von Akten oder die Erteilung von Auskünften an das Strafgericht zu verweigern. Das von der Sperrung betroffene Beweismittel kann in die HV eingeführt werden; eine Möglichkeit der Geheimhaltung besteht nicht mehr. Das bedeutet zugleich, dass das Hauptsacheverfahren vor dem VG um die Rechtmäßigkeit der Sperrerklärung überflüssig geworden ist. Eine solche Vorwegnahme der Hauptsache ist im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes grds. nicht möglich (vgl. KK-Greven, § 96 Rn 35, der hieraus den Schluss auf eine Unzulässigkeit des Erlasses einer einstweiligen Anordnung zieht). In der verwaltungsgerichtlichen Rspr. ist jedoch anerkannt, dass in Ausnahmefällen eine Vorwegnahme der Hauptsache in Betracht kommen kann, wenn dem Antragsteller bei einem Abwarten schwere und unzumutbare Nachteile drohten, die auch durch die spätere Entscheidung in der Hauptsache nicht nachträglich wieder beseitigt werden könnten (BVerwG NJW 2000, 160, 162; VGH Mannheim NJW 1991, 2097, 2098; 1994, 1362; VG Schwerin NVwZ 2007, 852; Redeker/von Oertzen, a.a.O., § 123 Rn 14). Das kann etwa der Fall sein, wenn der Abschluss der strafrechtlichen HV bevorsteht und bis dahin eine Entscheidung des VG im Hauptsacheverfahren sicher nicht zu erwarten ist (vgl. VGH Mannheim, a.a.O.; VG Hamburg, Beschl. v. 10.4.2002 – 3 VG 888/02). I...