Daniel Amelung, Lars Bachler
Rdn 958
Literaturhinweise:
s. die Hinweise unter: → Untersuchungshaft, Allgemeines, Teil B Rdn 806.
Rdn 959
1.a) StA und Gericht haben in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen die Voraussetzungen hinsichtlich der Anordnung und Durchführung der U-Haft zu prüfen. Sie müssen insbesondere selbstständig überwachen, ob der Haftbefehl aufzuheben ist (vgl. § 120) oder außer Vollzug gesetzt werden kann oder muss (vgl. § 116; zu dieser "informellen Pflicht zur Überprüfung der Voraussetzungen U-Haft" s. auch Nr. 54 Abs. 1 RiStBV; zum Ganzen vgl. KK-Graf, § 117 Rn 1; SSW-StPO/Herrmann, § 117 Rn 6 ff.; LR-Hilger, § 117 Rn 1; AnwKomm-U-Haft/König, StPO, § 117 Rn 1; SK-StPO/Paeffgen, § 117 Rn 2).
☆ Für Jugendliche und Heranwachsende ist ergänzend § 72 Abs. 1 JGG zu beachten (→ JGG-Besonderheiten, Untersuchungshaft , Teil A Rdn 947 ).Jugendliche und Heranwachsende ist ergänzend § 72 Abs. 1 JGG zu beachten (→ JGG-Besonderheiten, Untersuchungshaft, Teil A Rdn 947).
Rdn 960
b) Die StA ist Herrin des EV. Bei ihr befinden sich regelmäßig bis zur Abschlussverfügung die Akten. Sind sie versandt, dann ist dies zu vermerken. Es findet eine Überwachung des Verfahrensganges statt. Der sachbearbeitende StA "kennt seine Fälle". Meist führt er Haftlisten, jedenfalls sollte er dies. Er muss ständig im Auge behalten, ob inzwischen eine Haftverschonung oder gar eine Aufhebung des Haftbefehls angezeigt ist. Dies ist der Fall, wenn weitere Ermittlungsergebnisse es nahe legen, aber auch wenn eine Verfahrensverzögerung und damit ein Verstoß gegen das allgemeine Beschleunigungsgebot in Haftsachen anzunehmen sind.
Rdn 961
c) Unklar ist, wie der jeweilige Haftrichter eine solche Prüfung selbstständig vornehmen soll.
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Vor Anklageerhebung befinden sich die Ermittlungsakten regelmäßig bei der StA. Von da aus werden die weiteren Ermittlungen geführt. Meist wird darüber hinaus die Kontrolle des Vollzugs der U-Haft vom Gericht auf die StA übertragen (vgl. a. § 119 Abs. 2 S. 2). Eine Haftkontrolle findet vor diesem Hintergrund im EV außerhalb der gesetzlich vorgegebenen Fristen (vgl. §§ 120, 121) durch das Gericht grds. nicht statt (s. hierzu a. SSW-StPO/Herrmann, § 117 Rn 7; AnwKomm-U-Haft/König, StPO, § 117 Rn 1). ☆ Eine Überprüfung durch das Gericht kann somit allenfalls auf konkreten Hinweis hin oder im Rahmen turnusgemäßer Wiedervorlagen erfolgen.konkreten Hinweis hin oder im Rahmen turnusgemäßer Wiedervorlagen erfolgen. |
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Nach Erhebung der Anklage ist das mit der Hauptsache befasste Gericht zuständig. Es hat einhergehend mit der Entscheidung über die Eröffnung des Verfahrens und die Zulassung der Anklage auch über die Fortdauer der U-Haft (§ 207 Abs. 4). Dies geschieht allerdings meist nur formelhaft durch die Kopie des Textes der Anklage in den neuen Haftbefehl. Dieser darf aber erst nach Anhörung des Beschuldigten erlassen werden. ☆ In der Praxis wird der Haftbefehl oft gar nicht angepasst , sondern die Sache wird terminiert und verhandelt. Die gesetzlichen Vorgaben werden dadurch bewusst missachtet. Der Inhaftierte und sein Verteidiger müssen insofern aber nicht auf eine ordnungsgemäße Verkündung eines geänderten (neuen) Haftbefehls hinwirken. Dies ist und bleibt Aufgabe der jeweils zuständigen Stellen der Justiz (BVerfG NStZ 2002, 157 mit Anm. Hagmann StV 2001, 691; s. dazu a. Paeffgen NStZ 2003, 76, 83).Praxis wird der Haftbefehl oft gar nicht angepasst, sondern die Sache wird terminiert und verhandelt. Die gesetzlichen Vorgaben werden dadurch bewusst missachtet. Der Inhaftierte und sein Verteidiger müssen insofern aber nicht auf eine ordnungsgemäße Verkündung eines geänderten (neuen) Haftbefehls hinwirken. Dies ist und bleibt Aufgabe der jeweils zuständigen Stellen der Justiz (BVerfG NStZ 2002, 157 mit Anm. Hagmann StV 2001, 691; s. dazu a. Paeffgen NStZ 2003, 76, 83). In der Praxis findet die gesetzlich vorgesehene Selbstkontrolle durch StA und Gericht vielfach also nicht statt. |
Rdn 962
2. Das Ergebnis einer eventuellen informellen Prüfung durch Staatsanwaltschaft und Gericht muss nicht aktenkundig gemacht werden, es handelt sich hierbei um kein förmliches Verfahren (Meyer-Goßner/Schmitt, § 117 Rn 2).
Rdn 963
Aus Gründen der Transparenz und insbesondere auch im Hinblick auf den Grundsatz der Beschleunigung in Haftsachen böte sich allerdings eine Dokumentation an. Dadurch könnten StA und Gericht belegen, dass sie tatsächlich "in jeder Lage des Verfahrens" die Haftfrage geprüft haben. Im Übrigen wurde das Recht der Untersuchungshaft durch die Reform zum 1.1.2010 stark formalisiert (vgl. SSW-StPO/Herrmann, vor § 112 Rn 21 ff.). Warum dies nicht auch hier gelten soll, erschließt sich nicht.
☆ Es obliegt der Verteidigung , ggf. entsprechende Hinweise zu geben und auf eine Prüfung der Haftfragen hinzuwirken. Informelle Gespräche zur Entwicklung des Verfahrens und der Frage der Fortdauer der U-Haft sind in der Praxis nicht selten zielführend.obliegt der Verteidigung, ggf. entsprechende Hinweise zu geben und auf eine Prüfung der Haftfragen hinzuwirk...