Dr. Harald Lemke-Küch, Dr. Michael Ch. Jakobs
Das Wichtigste in Kürze:
1. |
In den §§ 35 Abs. 5 und Abs. 6 BtMG sind die Widerrufsgründe abschließend aufgezählt, unter deren Voraussetzungen die Vollstreckungsbehörde die Zurückstellung widerruft. |
2. |
Die Zurückstellung ist zu widerrufen, wenn der verurteilte Drogenabhängige die Behandlung gar nicht erst begonnen (§ 35 Abs. 5 S. 1 1. Alt. BtMG) oder nicht fortgeführt hat (§ 35 Abs. 5 S. 1 2. Alt. BtMG) – sog. Therapiebezogene Widerrufsgründe. |
3. |
Gem. § 35 Abs. 5 S. 1 3. Alt. BtMG ist der Widerruf ferner möglich, wenn der Verurteilte seinen Mitteilungs- und Nachweispflichten gem. § 35 Abs. 4 BtMG über die Aufnahme und die Fortführung der Behandlung nicht nachkommt. |
4. |
In § 35 Abs. 6 Nr. 1 und 2 BtMG sind weitere Widerrufsgründe vorgesehen. |
5. |
Zuständig für die Widerrufsentscheidung ist die Vollstreckungsbehörde, die beim Vorliegen eines Widerrufsgrundes widerrufen muss. |
Rdn 221
Literaturhinweise:
s. die Hinweise bei → BtM-Verfahren, Zurückstellung, Allgemeines, Teil B Rdn 92.
Rdn 222
1. In den §§ 35 Abs. 5 und Abs. 6 BtMG sind die Widerrufsgründe abschließend aufgezählt, unter deren Voraussetzungen die Vollstreckungsbehörde die Zurückstellung widerruft (MüKo-StGB/Kornprobst, § 35 BtMG Rn 197). Die Zurückstellung ist danach zu widerrufen, wenn einer der therapiebezogenen Widerrufsgründe des § 35 Abs. 5 S. 1 BtMG (Nichtantritt oder Abbruch der Therapie, Verstoß gegen Nachweispflichten) oder ein nachträgliches Zurückstellungshindernis nach § 35 Abs. 6 BtMG (nachträgliche Gesamtstrafe oder neue Freiheitsstrafen, die zu vollstrecken sind) eingetreten ist (zum JGG-Verfahren → Jugendliche, Vollstreckung, Jugendstrafe, Teil B Rdn 810).
Rdn 223
2.a) Die Zurückstellung ist zu widerrufen, wenn der verurteilte Drogenabhängige die Behandlung gar nicht erst begonnen (§ 35 Abs. 5 S. 1 1. Alt. BtMG; vgl. Rdn 224 ff.) oder nicht fortgeführt hat (§ 35 Abs. 5 S. 1 2. Alt. BtMG) – sog. Therapiebezogene Widerrufsgründe – und nicht zu erwarten ist, dass er eine entsprechende Behandlung derselben Art alsbald beginnt oder wieder aufnimmt (sog. "Erwartensklausel"), oder wenn der Verurteilte seinen gem. § 35 Abs. 4 BtMG nicht nachkommt (§ 34 Abs. 5 S. 1 3. Alt. BtMG; vgl. Rdn 229).
Rdn 224
b)aa) Für Nichtantritt oder -fortführung der Therapie gilt: Die Behandlung ist nicht begonnen, wenn der Verurteilte den für ihren Beginn vorgesehenen Termin nicht unerheblich überschreitet (MüKo-StGB/Kornprobst, § 35 BtMG Rn 199). Was konkret unter einer "nicht unerheblichen Überschreitung" zu verstehen ist, ist nach den Umständen des Einzelfalls zu betrachten. Das Gleiche gilt für den Abbruch/die Nichtfortführung einer begonnenen Therapie. Auch hier sind die Einzelfallumstände entscheidend. Nicht jede kurzfristige (unbefugte) Abwesenheit aus der Therapieeinrichtung stellt ein "Nichtfortführen" der Behandlung dar, das Abstellen auf eine schematische Abwesenheitsdauer verbietet sich (siehe ausführlich: → Teil B: BtM-Verfahren, Zurückstellung, Mitteilungs- und NachweispflichtenRdn 179). Als Abbruch ist nach allgemeiner Ansicht deshalb erst ein Verhalten zu verstehen, aus dem der Schluss gezogen werden kann, dass der Proband die Therapie endgültig nicht fortsetzen bzw. die Therapieeinrichtung die Behandlung des Patienten nicht fortsetzen will (OLG Koblenz NStZ 1995, 294; LG Mannheim StraFo 2005, 523).
Rdn 225
bb) Bei der Entscheidung der Frage, ob ein Nichtantritt oder eine Nichtfortführung der Behandlung vorliegen, ist deshalb immer gleichzeitig auch die stets kumulativ zu prüfende Erwartensklausel einer alsbaldigen Behandlungsaufnahme in den Blick zu nehmen. So kann einerseits ein sofortiger Widerruf gerechtfertigt sein, wenn der Verurteilte nicht therapiewillig ist und bereits den Weg von der JVA zur Therapieeinrichtung zur Flucht nutzt (vgl. OLG Koblenz StV 2006, 588). Andererseits können selbst dann, wenn der Nichtantritt oder Therapieabbruch auf ein Fehlverhalten des Verurteilten zurückgehen, zwischen Abbruch und Fortsetzung der Behandlung mehrere Monate liegen, wenn der Verurteilte Kontakt zur Vollstreckungsbehörde hält und ernsthafte Bemühungen unternimmt, die Behandlung in einer anderen Einrichtung alsbald (wieder) zu beginnen (OLG Karlsruhe StV 2003, 630). Denn zwischenzeitliche Rückschläge sind bei einer Therapie bis zu deren Erfolg eher die Regel als die Ausnahme, so dass auch zwischenzeitlicher Konsum, Erwerb oder Besitz zum Eigenverbrauch, vorübergehende Abwesenheit und/oder disziplinarische Probleme in der Therapieeinrichtung und gegebenenfalls auch Beschaffungskriminalität nicht automatisch mit einem Abbruch der Behandlung gleichzusetzen sind (MüKo-StGB/Kornprobst, § 35 BtMG Rn 205).
Rdn 226
Entscheidend ist stets, dass der Verurteilte sich alsbald, d.h. ohne schuldhaftes Zögern um eine Fortsetzung oder einen neuen Therapieplatz bemüht. Der Begriff "alsbald" ist dabei nicht mit "unverzüglich" gleichzusetzen (Weber, § 35 Rn 264), sondern hat sich am Maßstab des § 35 Abs. 1 BtMG zu orientieren (OLG Karlsruhe NStZ-RR 2003, 311), so dass nebe...