Dr. Harald Lemke-Küch, Dr. Michael Ch. Jakobs
Das Wichtigste in Kürze:
1. |
§ 456a StPO ermöglicht es, bei ausländischen Staatsangehörigen unter bestimmten Voraussetzungen von der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe oder Maßregel abzusehen. |
2. |
Eine Entscheidung gem. § 456a StPO kann auf Antrag des Verurteilten oder von Amts wegen ergehen; einer Zustimmung des Verurteilten bedarf es nicht. |
3. |
Mit dem Absehen von der weiteren Vollstreckung und der Abschiebung erlässt der Rechtspfleger i.d.R. einen Haftbefehl und veranlasst eine Ausschreibung zur Festnahme, wobei die Vollstreckungsverjährung zu beachten ist. |
4. |
Gegen das Absehen von der Vollstreckung steht dem Verurteilten kein Rechtsmittel zu. |
Rdn 243
Literaturhinweise:
Artkämper/Herrmann/Jakobs/Kruse, Aufgabenfelder der Staatsanwaltschaft 2008, Rn 882 ff.
Kamann, Handbuch für die Strafvollstreckung und den Strafvollzug, 2. Aufl. 2008, Rn 7 ff.
Röttle/Wagner, Strafvollstreckung, Rn 71 ff.
Volckart/Pollähne/Wagner, Verteidigung in Vollstreckung und Vollzug, 4. Aufl. 2008, Rn 96 ff.;
Rdn 244
1. Von der Vorschrift des § 456a StPO, die es ermöglicht, bei ausländischen Staatsangehörigen unter bestimmten Voraussetzungen von der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe oder Maßregel abzusehen, wird in der Praxis oftmals Gebrauch gemacht. Zweck dieser Regelung ist in erster Linie die Entlastung des Vollzuges. Im europäischen Raum wird allerdings insbesondere bei Ausländern, die ihren Wohnsitz nicht in Deutschland haben, immer häufiger im Rechtshilfeweg eine Überstellung des Verurteilten an sein Heimatland zur dortigen weiteren Strafvollstreckung praktiziert. Dies erscheint – insbesondere bei Verhängung längerer Freiheitsstrafen – hinsichtlich einer Vollstreckungsgerechtigkeit im Vergleich zu deutschen Staatsangehörigen – durchaus wünschenswert.
Rdn 245
2.a) Eine Entscheidung gem. § 456a StPO kann auf Antrag des Verurteilten oder von Amts wegen ergehen; einer Zustimmung des Verurteilten bedarf es nicht.
Rdn 246
b) Voraussetzung für eine Vorgehensweise nach § 456a StPO ist entweder eine Auslieferung an einen ausländischen Staat, eine Überstellung an einen internationalen Strafgerichtshof oder eine bestandskräftige und vollziehbare Ausweisungsverfügung der Ausländerbehörde. Da letztgenannte Variante den in der Praxis relevantesten Fall darstellt, sollen sich die nachfolgenden Ausführungen im Wesentlichen auf die Ausweisung beschränken; i.Ü. wird auf → Personen und Berufsgruppen, Ausländer, Abschiebung, Allgemeines, Teil H Rdn 97 ff. verwiesen.
Rdn 247
Liegt eine bestandskräftige Ausweisungsverfügung vor, steht es im Ermessen der StA (konkret: des Rechtspflegers), ob ein Absehen von der Vollstreckung erfolgen soll. Insoweit ist eine Abwägung der Gründe vorzunehmen, die für und gegen ein Absehen von der (weiteren) Vollstreckung sprechen. Zu berücksichtigen sind insbesondere die Umstände der Tat, die Schwere der Schuld, die Höhe des bisher verbüßten Teils der Strafe, das öffentliche Interesse an einer nachhaltigen Vollstreckung sowie auch die familiären und sozialen Verhältnisse des Verurteilten (KG StV 1992, 428; OLG Hamm NStZ 1983, 524; OLG Hamburg StV 1996, 328).
☆ Die Justizverwaltungen der Länder haben Richtlinien erlassen, die ein Absehen von der Vollstreckung im Regelfall erst nach Verbüßung der Hälfte der Strafe vorsehen. In den meisten Fällen bietet sich eine Entscheidung gem. § 456a StPO zwischen dem Halbstrafen- und dem – bei mehreren Vollstreckungen gemeinsamen – Zweidritteltermin an. Die Richtlinien enthalten ferner ggf. Ermessensdeterminanten, an denen sich der Rechtspfleger im Rahmen seiner Entscheidungsfindung zu orientieren hat.Richtlinien erlassen, die ein Absehen von der Vollstreckung im Regelfall erst nach Verbüßung der Hälfte der Strafe vorsehen. In den meisten Fällen bietet sich eine Entscheidung gem. § 456a StPO zwischen dem Halbstrafen- und dem – bei mehreren Vollstreckungen gemeinsamen – Zweidritteltermin an. Die Richtlinien enthalten ferner ggf. Ermessensdeterminanten, an denen sich der Rechtspfleger im Rahmen seiner Entscheidungsfindung zu orientieren hat.
Rdn 248
c) Sind weitere Verfahren gegen den Verurteilten anhängig, oder wird bekannt, dass er in anderen Verfahren als Zeuge in Betracht kommt, wird das Absehen von der weiteren Vollstreckung ggf. bis zum Abschluss der Verfahren zurückgestellt.
Rdn 249
Bevor nach § 456a StPO verfahren wird, holt der Rechtspfleger ferner eine Stellungnahme der JVA sowie eine aktuelle Vollstreckungsübersicht ein. Ergibt sich, dass gegen den Verurteilten weitere Freiheitsstrafen zu vollstrecken sind, ist ggf. eine Abstimmung der Vollstreckungsbehörden erforderlich.
Rdn 250
3. Mit dem Absehen von der weiteren Vollstreckung und der Abschiebung erlässt der Rechtspfleger i.d.R. einen Haftbefehl und veranlasst eine Ausschreibung zur Festnahme, wobei die Vollstreckungsverjährung zu beachten ist. Die Vollstreckung des Restes der Strafe kann gem. § 456a Abs. 2 StPO bis zu diesem Zeitpunkt nachgeholt werden, wenn der Verurteilte später freiwillig in das Bundesgebiet zurückkehrt. Vora...