Dr. Harald Lemke-Küch, Dr. Michael Ch. Jakobs
Das Wichtigste in Kürze:
1. |
Unter den Voraussetzungen des § 57 Abs. 2 StGB ist eine Strafaussetzung zur Bewährung nach Verbüßung der Hälfte der Strafe – mindestens sechs Monaten – möglich |
2. |
Im Fall des § 57 Abs. 2 Nr. 1 StGB ergeht die Entscheidung nach wohl h.M. von Amts wegen. |
3. |
Voraussetzung für eine Strafaussetzung gem. § 57 Abs. 2 Nr. 1 StGB ist u.a., dass es sich bei dem Verurteilten um einen Erstverbüßer handelt. |
4. |
§ 57 Abs. 2 Nr. 1 StGB setzt ferner voraus, dass die Freiheitsstrafe zwei Jahre nicht übersteigt. |
5. |
Für eine Strafaussetzung gem. § 57 Abs. 2 Nr. 1 StGB müssen zusätzlich die übrigen Voraussetzungen des § 57 Abs. 1 StGB. |
6. |
Eine Strafaussetzung zum Halbstrafentermin kommt gem. § 57 Abs. 2 Nr. 2 StGB auch in Betracht, wenn die Gesamtwürdigung von Tat, Persönlichkeit des Verurteilten und seiner Entwicklung während des Strafvollzuges ergibt, dass besondere Umstände vorliegen. |
Rdn 267
Literaturhinweise:
Artkämper/Herrmann/Jakobs/Kruse, Aufgabenfelder der Staatsanwaltschaft, 2008, Rn 938 ff.
Röttle/Wagner, Strafvollstreckung, Rn 908 ff.
Rdn 268
1. Unter den Voraussetzungen des § 57 Abs. 2 StGB ist eine Strafaussetzung zur Bewährung nach Verbüßung der Hälfte der Strafe – mindestens sechs Monaten – möglich. Im Unterschied zu der Entscheidung gem. § 57 Abs. 1 StGB, die bei Vorliegen der Voraussetzungen zwingend zur Strafaussetzung führt, steht die Entscheidung zur Halbstrafenaussetzung im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts.
Rdn 269
2. Im Fall des § 57 Abs. 2 Nr. 1 StGB ergeht die Entscheidung nach wohl h.M. von Amts wegen (vgl. Fischer, § 57 Rn 31 m.w.N.). Der Rechtspfleger hat daher entsprechende Fristen zu notieren und das Vollstreckungsheft dem Staatsanwalt zur Antragstellung rechtzeitig vorzulegen.
Rdn 270
3. Voraussetzung für eine Strafaussetzung gem. § 57 Abs. 2 Nr. 1 StGB ist zunächst, dass es sich bei dem Verurteilten um einen Erstverbüßer handelt. Dieser Begriff ist in mehrfacher Hinsicht umstritten. Einigkeit dürfte bestehen, dass Jugendarrest und die Verbüßung von Ersatzfreiheitsstrafe insoweit keine Berücksichtigung finden, wohl aber Jugendstrafe, Strafarrest nach § 14a WStG sowie Strafhaft im Ausland.
Rdn 271
Streitig ist allerdings, ob die vorherige Verbüßung von U-Haft – im selben, aber auch in anderen Verfahren – einer Strafaussetzung gem. § 57 Abs. 2 Nr. 1 StGB entgegensteht. Nach zutreffender h.M. ist dies nicht der Fall, so dass auch bei einem Verurteilten, der bereits Untersuchungshaft erlitten hat, von einem Erstverbüßer auszugehen ist (OLG Stuttgart NStZ 1990, 103; OLG Düsseldorf NStZ-RR 1996, 186; OLG Zweibrücken StV 1998, 670; a.A. OLG Karlsruhe StV 1990, 119).
Rdn 272
Uneinigkeit besteht ferner bei Vollstreckung mehrerer Strafen gem. § 43 Abs. 2 StVollstrO. Nach überwiegender Auffassung kommt es nur darauf an, dass sich der Verurteilte erstmals im Strafvollzug befindet, so dass die unmittelbare Anschlussvollstreckung mehrerer Strafen insgesamt als Erstverbüßung gewertet wird (OLG Zweibrücken NStZ 1986, 572; OLG München MDR 1988, 601; OLG Stuttgart NStZ 1988, 128; OLG Düsseldorf StV 1989, 215).
Rdn 273
4. § 57 Abs. 2 Nr. 1 StGB setzt ferner voraus, dass die Freiheitsstrafe zwei Jahre nicht übersteigt. Ausgehend von der h.M., die eine Erstverbüßung auch im Fall der unmittelbaren Anschlussvollstreckung mehrerer Freiheitsstrafen annimmt, wird teilweise die Auffassung vertreten, bei Berechnung der Zwei-Jahres-Frist müssten die Strafen zusammengerechnet werden, so dass immer dann, wenn die Summe der Strafen zwei Jahre übersteige, keine Aussetzung nach § 57 Abs. 2 Nr. 1 StGB in Betracht komme. Nach h.M. kommt es im Hinblick auf die Zwei-Jahres-Grenze auf die einzelnen zu vollstreckenden Freiheitsstrafen an (vgl. Fischer, § 57 Rn 26 f.).
Rdn 274
5. Für eine Strafaussetzung gem. § 57 Abs. 2 Nr. 1 StGB reicht es nicht aus, dass der Verurteilte erstmalig eine Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren verbüßt. Zusätzlich müssen die übrigen Voraussetzungen des § 57 Abs. 1 StGB – positive Sozialprognose und Einwilligung des Verurteilten – vorliegen (vgl. → Erwachsene, Freiheitsstrafe ohne Bewährung, Aussetzung der Reststrafe, Zweidrittel, Teil B Rdn 283).
Rdn 275
6. Eine Strafaussetzung zum Halbstrafentermin kommt gem. § 57 Abs. 2 Nr. 2 StGB auch in Betracht, wenn die Gesamtwürdigung von Tat, Persönlichkeit des Verurteilten und seiner Entwicklung während des Strafvollzuges ergibt, dass besondere Umstände vorliegen (und die Voraussetzungen des § 57 Abs. 1 StGB erfüllt sind). In Betracht kommen beispielsweise eine schwere Erkrankung des Verurteilten oder eine umfangreiche, unter persönlichen Anstrengungen unternommene Schadenswiedergutmachung.
☆ Eine günstige Sozialprognoseallein reicht zur Begründung besonderer Umstände nicht aus. Im Rahmen einer Gesamtwürdigung müssen weitere Faktoren hinzutreten, die eine Strafaussetzung nach Verbüßung der Hälfte ausnahmsweise gerechtfertigt erscheinen lassen.günstige Sozialprognoseallein reicht zur Begründung besonderer Umstände nicht aus. Im Rahmen einer...