Das Wichtigste in Kürze:

1. Ist die Verhängung der Jugendstrafe zur Bewährung ausgesetzt worden, so wird in einem Nachverfahren entschieden, ob eine Verurteilung erfolgt oder der Schuldspruch getilgt wird.
2. Bei Nichtbefolgung der erteilten Weisungen und Auflagen kann auch Ungehorsamsarrest verhängt werden (§ 29 S. 2 i.V.m. § 23 Abs. 1 S. 4 JGG).
3. Stellt sich im Laufe der Bewährungszeit ("vor allem durch schlechte Führung des Jugendlichen") heraus, dass die in dem Schuldspruch missbilligte Tat auf (so umfangreiche) schädliche Neigungen zurückzuführen ist, die eine Jugendstrafe erforderlich machen, so erkennt das Gericht auf die Jugendstrafe, die es im Zeitpunkt des Schuldspruchs verhängt hätte (§ 30 JGG).
4. Das während der Bewährungszeit gezeigte Verhalten darf bei der Bemessung der Dauer der Jugendstrafe nicht einfließen.
5. Zuständig für das Nachverfahren ist der Richter, der die Aussetzung der Verhängung angeordnet hat. Es findet ggf. eine neue Hauptverhandlung statt, die mit einem Urteil abschließt.
6. Das Urteil kann mit den allgemeinen Rechtsmitteln (Berufung oder Revision) angefochten werden.
7. Wenn der Umfang der schädlichen Neigungen weiterhin nicht sicher zu bestimmen ist und die Bewährungszeit noch läuft, ergeht ein Beschluss, dass die Entscheidung über die Verhängung der Strafe weiterhin ausgesetzt bleibt (§ 62 Abs. 3 JGG). Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 63 Abs. 1 JGG).
8. Der Schuldspruch nach § 27 JGG wird zwar in das BZR aufgenommen, jedoch nicht in ein Führungszeugnis (§ 32 Abs. 1 Nr. 2 JGG).
 

Rdn 917

 

Literaturhinweise:

Neubacher/Bachmann, Person oder Amt? – Wer ist im Nachverfahren zuständig für die Verhängung einer Jugendstrafe wegen schädlicher Neigungen gemäß §§ 30 I, 62 I JGG?, NStZ 2013, 386

Wenger, Steht die Aussetzung der Verhängung der Jugendstrafe nach § 27 JGG vor der "Re-Naissance?", in: Festschrift für Härringer Pfaffenweiler 1995, 64.

 

Rdn 918

1.a) Ist gem. § 27 JGG die Entscheidung über die Verhängung der Jugendstrafe zur Bewährung ausgesetzt worden, so wird in einem Nachverfahren während oder nach Ablauf der Bewährungszeit über die tatsächliche Verhängung entschieden. Die materiellen Voraussetzungen hierfür finden sich in § 30 JGG, das Verfahren ist in den §§ 62 ff. JGG geregelt (Bewährungszeit: Dauer s. → Bewährung, Jugendliche, Zeit, Teil A Rdn 175 ff.; zu den gebührenrechtlichen Fragen Burhoff/Burhoff, RVG, Teil A: Rn 138 ff.).

 

☆ Die Entscheidung zur Dauer der Bewährungszeit ist mit der einfachen Beschwerde anfechtbar (§ 63 Abs. 2 i.V.m. § 59 Abs. 2 JGG; zur Beschwerde Burhoff , EV, Rn 911, und Burhoff/Kotz/ Kotz , RM, Teil A: Rn 459 ff.).Beschwerde anfechtbar (§ 63 Abs. 2 i.V.m. § 59 Abs. 2 JGG; zur Beschwerde Burhoff, EV, Rn 911, und Burhoff/Kotz/Kotz, RM, Teil A: Rn 459 ff.).

 

Rdn 919

Der Jugendrichter, der die Entscheidung nach § 27 JGG getroffen hat, ist auch zuständig für die Überwachung der Einhaltung verhängter Bewährungsauflagen (BGH StV 1998, 348). Er kann die in § 28 JGG geregelte Bewährungsüberwachung ebenso wenig wie die Entscheidung nach § 30 JGG auf den Jugendrichter des Aufenthaltsorts übertragen werden. Es verbleibt bei der alleinigen Zuständigkeit des erkennenden Jugendrichters (BGH NStZ 1999, 361).

 

Rdn 920

Bei einer Verurteilung durch ein Erwachsenengericht sind die Bewährungsentscheidungen (§§ 28, 29 JGG), nicht aber die Entscheidungen gem. § 30 JGG, auf den Jugendrichter zu übertragen, in dessen Bezirk sich der Verurteilte aufhält (§§ 104 Abs. 5 S. 2, 112 S. 1 JGG).

 

Rdn 921

Kommt der Jugendliche den Weisungen und Auflagen nicht nach oder entzieht er sich der Aufsicht des Bewährungshelfers, so können dies Gründe für ein Nachverfahren nach § 30 JGG darstellen. Gesetzlich fehlt eine ausdrückliche Regelung wie in § 26 Abs. 2 JGG, dass vor einem Widerruf mildere Maßnahmen zu prüfen sind. Allerdings muss aus Verhältnismäßigkeitsgründen vor der Einleitung des Nachverfahrens geprüft werden, ob nicht besser mit der Verlängerung der Bewährungs- oder Unterstellungszeit oder mit der Erteilung weiterer Weisungen und Auflagen zu reagieren ist (HK-JGG/Meier, § 29 Rn 2).

 

Rdn 922

b) In der Praxis kommt es eher selten zu Nachverfahren, da aufgrund des Einheitsprinzips des § 31 JGG der Schuldspruch nach § 27 JGG in die neue Verurteilung einbezogen wird (BGHSt 39, 92; BGHSt 31, 255). Das gilt jedoch nur für die Einbeziehung des Schuldspruchs. Umgekehrt darf im Nachverfahren (§§ 30, 62 JGG) eine anderweitige Verurteilung nicht nach § 31 Abs. 2 JGG einbezogen werden, da im Nachverfahren ausschließlich darüber zu befinden ist, ob in der abgeurteilten Straftat schädliche Neigungen in einem Jugendstrafe erforderlichen Umfang vorliegen (D/S/S-Diemer § 30 Rn 11).

 

☆ Eine Einbeziehung des Schuldspruchs nach § 27 JGG in einem Nachtragsverfahren nach § 66 Abs. 1 S. 1 JGG ist jedoch nicht möglich , da die Schuldfeststellung nach § 27 JGG keine noch nicht vollständig erledigte Entscheidung i.S. des § 66 Abs. 1 Satz 1 JGG ist (BGHSt 51, 136).nicht möglich, da die Schuldfeststel...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?