Dr. Harald Lemke-Küch, Dr. Michael Ch. Jakobs
Das Wichtigste in Kürze:
1. |
Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus dient in erster Linie dem Schutz der Allgemeinheit. Sie dient regelmäßig aber auch dazu, entweder die untergebrachte Person von der vorliegenden psychischen Störung jedenfalls soweit zu heilen, dass von ihrem Zustand keine unvertretbare Gefahr für fremde Rechtsgüter mehr ausgeht, oder die untergebrachte Person in ihrem Zustand zu pflegen. |
2. |
Die Annahme der Gefährlichkeit des Täters für die Allgemeinheit setzt eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades voraus, dass der Täter infolge seines Zustands in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird, die zumindest in den Bereich der mittleren Kriminalität hineinreichen. |
3. |
Die Unterbringung dauert so lange, wie ihr Zweck es erfordert: Unter Umständen kann die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus lebenslang vollzogen werden. |
4. |
Je länger die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus anhält, umso strenger sind die Voraussetzungen für die Verhältnismäßigkeit des Freiheitsentzuges. |
Rdn 1099
1. § 63 StGB überträgt den Strafgerichten den Schutz der Allgemeinheit vor schuldunfähigen oder vermindert schuldfähigen Straftätern durch die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus für die Fälle, in denen der Betreffende eine rechtswidrige Tat begangen hat. Daneben bleiben jedoch die Verwaltungsbehörden verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen der Gefahrabwehr – ggf. die Unterbringung nach den Landesgesetzten – in eigener Zuständigkeit zu prüfen und zu veranlassen.
Rdn 1100
Die unter Umständen lebenslange Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB dient in erster Linie dem Schutz der Allgemeinheit und der Gefahrenabwehr. Sie dient regelmäßig auch dazu, entweder die untergebrachte Person von der vorliegenden psychischen Störung jedenfalls soweit zu heilen, dass von ihrem Zustand keine unvertretbare Gefahr für fremde Rechtsgüter mehr ausgeht, oder die untergebrachte Person in ihrem Zustand zu pflegen (BGH NJW 1992, 1570; NStZ 1986, 572; 1990, 122).
Rdn 1101
Anders als bei der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 S. 2 StGB) steht eine fehlende Heilungsaussicht der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht entgegen (NStZ 1990, 122; Eisenberg NStZ 2004, 240 ff.; → Maßregeln, Erwachsene, Entziehungsanstalt, Teil B Rdn 1034).
☆ Jedoch rechtfertigt auch das bloße Fortbestehen einer psychischen Störung und deren Behandlungsbedürftigkeit weder die Anordnung noch die Fortdauer der Unterbringung nach § 63 StGB, wenn die Voraussetzungen einer negativen Gefahrenprognose nicht ( mehr ) gegeben sind.negativen Gefahrenprognose nicht (mehr) gegeben sind.
Rdn 1102
2. Die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus hat folgende Voraussetzungen:
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Begehung einer rechtswidrigen Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21 StGB; vgl. Rdn 1103) |
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Erwartung, dass der Täter infolge seines Zustands erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist (vgl. Rdn 1104 f.) |
Rdn 1103
a) Das Vorliegen der Voraussetzungen des § 20 StGB oder des § 21 StGB (→ Maßregeln, Erwachsene, Allgemeines, Teil B Rdn 958) zum Zeitpunkt der Anlasstat muss vom Tatgericht zweifelsfrei festgestellt werden (Fischer, § 63 Rn 11). Dass entweder die Voraussetzungen des § 20 StGB oder die Voraussetzungen des § 21 StGB sicher gegeben waren, reicht jedoch aus (Fischer, § 63 Rn 11).
Rdn 1104
b) Die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Anlasstat muss zu einer negativen Gefährlichkeitsprognose führen: Es muss eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades bestehen, dass der Täter infolge seines Zustands in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird, die zumindest in den Bereich der mittleren Kriminalität hineinreichen (Fischer, § 63 Rn 13). Die zu erwartenden Taten müssen auf derselben psychischen Störung wie die Anlasstat beruhen und sich als Folgewirkung dieses Zustands darstellen (BGH NStZ 1991, 528; NStZ-RR 2003, 168; NStZ-RR 2004, 331).
Rdn 1105
Weitere Taten dürfen nicht nur möglich, sondern sie müssen – mit einem höheren Grad – wahrscheinlich sein (Fischer, § 64 Rn 15). Wenn der Täter die Begehung weiterer Taten androht, muss die objektive Ernstlichkeit dieser Drohung festgestellt werden (BGH NStZ-RR 2006, 338). Eine ständige Gefahr ist nicht vorausgesetzt; eine länger dauernde Straffreiheit ist jedoch gewichtiges Indiz gegen eine negative Gefahrenprognose (Fischer, § 63 Rn 15, 15a). Aggressives Verhalten bei der Exploration oder in der Hauptverhandlung ist nur von eingeschränktem indiziellen Gewicht (BGH NStZ-RR 2012, 107). Ebenfalls nicht ausreichend ist die nicht näher ausgeführte Annahme, es werde künftig zu "impulshaftem Verhalten" kommen (BGH NStZ-RR 2003, 232); auch die Feststellung, der Täter neige zu Regelverstößen, reicht für sich genommen nicht aus (Fischer, § 63 Rn 15a).
Rdn 1106
Die zu erwartende Tat muss erheblich sein. Es muss...