Daniel Hagmann, Monika Oerder
Das Wichtigste in Kürze:
1. |
Der Gerichtshof führt eine Liste seiner laufenden Fälle. |
2. |
Ein Fall wird aus dieser Liste gestrichen, wenn der Gerichtshof annimmt, dass der Beschwerdeführer seine Beschwerde nicht weiterverfolgen will. |
3. |
Eine Streichung erfolgt auch dann, wenn der Streit einer Lösung zugeführt wurde. |
4. |
Die Streichung erfolgt überdies, wenn die weitere Prüfung der Beschwerde nicht (mehr) gerechtfertigt erscheint. |
5. |
Nach einer Streichung aus der Liste kann ein Fall wieder in die Liste aufgenommen werden; diese Wiederaufnahme erfolgt, wenn die Achtung der Menschenrechte dies erfordert. |
Rdn 295
Literaturhinweise:
s. die Hinw. bei → Menschenrechtsbeschwerde, Allgemeines, Teil C Rdn 1
→ Menschenrechtsbeschwerde, EGMR – Verfahrensgrundsätze, Teil C Rdn 127.
Rdn 296
1. Der EGMG führt eine Liste seiner laufenden Fälle. Die Streichung aus der Liste kann der Gerichtshof gemäß Art. 37 EMRK unter bestimmten Umständen jederzeit während des Verfahrens beschließen. Einzelheiten zum Verfahren regelt Art. 43 VerfO-EGMR.
Rdn 297
2. Eine Streichung aus der Liste steht dem Gerichtshof offen, wenn er Grund zur Annahme hat, dass der Beschwerdeführer seine Beschwerde nicht weiter zu verfolgen beabsichtigt (Art. 37 Abs. 1 Buchst. a) EMRK). Auf dieser Grundlage nimmt der EGMR z.B. Streichungen im Register vor, wenn der Beschwerdeführer Anfragen des Gerichtshofs nicht beantwortet (EGMR, Entsch. v. 30.9.2010 – 35524/06 [Artemi und Gregory/22 EU-Staaten]; a. Ziff. 17 der Verfahrensanordnung zum Beschwerdeverfahren). Ein solcher Verzicht muss eindeutig feststehen (EGMR [GK], Entsch. v. 4.10.2006 – 76642/01 [Association SOS Attands/Frankreich Nr. 30], NJOZ 2007, 5200 m.w.N.). Dies ist etwa auch dann der Fall, wenn der Beschwerdeführer die Beschwerde ausdrücklich zurücknimmt (EGMR, Urt. v. 13.7.2010 – 6909/08 u.a. [Alipour u.a./Türkei Nr. 46 f.]).
Rdn 298
3. Der Gerichtshof streicht eine Beschwerde außerdem dann aus dem Register, wenn die Umstände Grund zur Annahme geben, dass die Streitigkeit einer Lösung zugeführt worden ist (Art. 37 Abs. 1b EMRK). Dies ist der Fall, wenn die tatsächlichen Umstände, die Anlass zu der Beschwerde gegeben haben, nicht mehr vorliegen und die Folgen einer auf diesen Umständen beruhenden Konventionsverletzung beseitigt worden sind (EGMR [GK], Entsch. v. 4.10.2006 – 76642/01 [Association SOS Attentats u.a./Frankreich Nr. 32], NJOZ 2007, 5200 m.w.N.). Das ist regelmäßig der Fall in folgenden
Rdn 299
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wenn ein Aufenthaltsstatut legalisiert werden kann (EGMR [GK], Urt. v. 15.1.2007 – 60654/00 [Sisojeva u.a./Lettland Nr. 98 ff.], NVwZ 2008, 979 m.w.N.; Entsch. v. 6.3.2012 – 42293/06 [Hasan Atmaca/Deutschland]) |
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oder wenn infolge eines Piloturteils eine Regelung gefunden wurde, die das zugrunde liegende Problem löst (s. etwa EGMR [GK], Urt. v. 12.10.17 – 46852/13 u.a. [Burmych u.a./Ukraine [Nr. 201 ff.], Karpenstein/Mayer/Wenzel, Art. 37 EMRK Rn 6 m.w.N., → Menschenrechtsbeschwerde, Urteil, Rechtswirkungen, Teil C Rdn 344). |
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wenn zwischen den Parteien eine gütliche Einigung herbeigeführt wurde; die Streichung aus der Liste erfolgt sodann gemäß Art. 39 Abs. 3 EMRK (→ Menschenrechtsbeschwerde, Einigungsverfahren, Teil C Rdn 144). |
Rdn 300
4. Schließlich eröffnet Art. Art. 37 Abs. 1c EMRK die Möglichkeit der Streichung einer Beschwerde, wenn der EGMR Grund zur Annahme hat, dass die weitere Prüfung der Beschwerde aus anderen von ihm festgestellten Gründen nicht gerechtfertigt ist. Dies kann etwa der Fall sein (s. im Einzelnen die Rechtsprechungsübersicht in EGMR [GK], Entsch. v. 4.10.2006 – 76642/01 [Association SOS Attands/Frankreich Nr. 37], NJOZ 2007, 5200), wenn der Beschwerdeführer verstorben ist und kein naher Verwandter das Verfahren weiter betreiben will, dem Gerichtshof dies nicht oder verspätet mitgeteilt wird oder bei einer Erledigung des Vorgangs aufgrund einseitiger Erklärung des belangten Vertragsstaats (→ Menschenrechtsbeschwerde, Einigungsverfahren, Teil C Rdn 147).
☆ Auch das Verfahren eines Beschwerdeführers, der entgegen den Vorgaben der Verfahrensordnung (s. dort Art. 36) keinen Anwalt bestellt hat, hat der Gerichtshof bereits auf dieser Grundlage eingestellt (EGMR, Entsch. v. 7.2.2006 – 69364/01 [ Grimaylo /Ukraine]).keinen Anwalt bestellt hat, hat der Gerichtshof bereits auf dieser Grundlage eingestellt (EGMR, Entsch. v. 7.2.2006 – 69364/01 [Grimaylo/Ukraine]).
Rdn 301
5.a) In der Möglichkeit der Streichung oder der Wiederaufnahme eines Falles aus dem bzw. in das Register ist der EGMR flexibel: Art. 37 Abs. 1 S. 2 EMRK erlaubt ihm, die Prüfung einer Sache fortzusetzen, wenn dies – soweit durch die EMRK geschützt – die Achtung der Menschenrechte erfordert. Dies kann über den reinen Individualschutz etwa bei schwersten Menschenrechtsverletzungen hinaus dann der Fall sein, wenn Fragen grundsätzlicher Bedeutung zu entscheiden und allgemeine Standards für den Menschenrechtsschutz zu entwickeln sind (EGMR, Urt. v. 7.1.2010 – 25965/04 [Rantsev/Zypern und Russland Nr. 194 bi...