Daniel Hagmann, Monika Oerder
Das Wichtigste in Kürze:
1. |
Art. 263 Abs. 4 AEUV differenziert hinsichtlich des Klagegegenstands zwischen Handlungen, die an den Kläger gerichtet sind oder ihn unmittelbar und individuelle betreffen, und Rechtsakten mit Verordnungscharakter, die den Kläger unmittelbar betreffen und keine Durchführungsmaßnahme nach sich ziehen. |
2. |
Unzulässig sind danach Klagen gegen Rechtsakte mit nur allgemeiner Geltung. |
3. |
Zwischenmaßnahmen, die nur der Vorbereitung der endgültigen Entscheidung dienen, können grds. nicht Gegenstand einer Nichtigkeitsklage sein. |
4. |
Die Rechtsform der anfechtbaren Handlung ist grds. irrelevant. |
5. |
Soweit die AEUV Rechtsschutz gegen Akte der EU nicht gewährt, sind die Mitgliedstaaten gehalten, diesen zu gewährleisten. |
Rdn 565
Literaturhinweise:
Everling, Rechtsschutz in der Europäischen Union nach dem Vertrag von Lissabon, EuR 2009 Beiheft 1, 71
ders., Lissabon-Vertrag regelt Dauerstreit über Nichtigkeitsklage Privater, EuZW 2010, 572
Frenz/Distelrath, Klagegegenstand und Klagebefugnis von Individualnichtigkeitsklagen nach Art. 263 IV AEUV, NVwZ 2010, 162
Görlitz/Kubicki, Rechtsakte "mit schwierigem Charakter", EuZW 2011, 248
s.a. die Hinw. bei → Nichtigkeitsklage, Allgemeines, Teil C Rdn 455.
Rdn 566
1. Der Kläger muss in seiner Klageschrift darlegen, gegen welche Handlung eines Unionsorgans er im Einzelnen vorgehen will. Der Gegenstand der Nichtigkeitsklage ist entsprechend der jeweiligen Klageberechtigung differenziert geregelt. Art. 263 Abs. 4 AEUV differenziert hinsichtlich des Klagegegenstands zwischen Handlungen, die an den Kläger gerichtet sind oder ihn unmittelbar und individuelle betreffen, und Rechtsakten mit Verordnungscharakter, die den Kläger unmittelbar betreffen und keine Durchführungsmaßnahme nach sich ziehen. Damit erweitert Art. 263 Abs. 4 AEUV den Anwendungsbereich der Individualnichtigkeitsklage gegenüber seiner Vorgängernorm Art. 230 EGV um die dritte Handlungsform und modifiziert die beiden anderen Anfechtungstatbestände dahin gehend, dass anstelle der zuvor genannten Entscheidungen und Verordnungen nunmehr Handlungen genannt werden.
☆ Durch die Erfassung von Handlungen als angreifbaren Rechtsakt passt die AEUV die Normierung der Nichtigkeitsklage der st. Rspr. des EuGH an, wonach die Nichtigkeitsklage gegen alle Maßnahmen der Organe , die verbindliche Rechtswirkungen erzeugen sollen, unabhängig von ihrer Form oder ihrer Rechtsnatur erhoben werden kann (st. Rspr. EuGH, Urt. v. 20.3.1997 – C-57/95 [Frankreich/Kommission Nr. 7] m.w.N., zuletzt EuGH, Urt. v. 13.10.2011 – C-463/10 P und C-475/10 P [ Deutsche Post AG und Bundesrepublik Deutschland/Europäische Kommission Nr. 36] m.w.N.).gegen alle Maßnahmen der Organe, die verbindliche Rechtswirkungen erzeugen sollen, unabhängig von ihrer Form oder ihrer Rechtsnatur erhoben werden kann (st. Rspr. EuGH, Urt. v. 20.3.1997 – C-57/95 [Frankreich/Kommission Nr. 7] m.w.N., zuletzt EuGH, Urt. v. 13.10.2011 – C-463/10 P und C-475/10 P [Deutsche Post AG und Bundesrepublik Deutschland/Europäische Kommission Nr. 36] m.w.N.).
Rdn 567
Ob eine Handlung vorliegt, die verbindliche Rechtswirkungen erzeugen soll, beurteilt sich aus deren Inhalt oder aus deren vorgeschriebener Form heraus (EuGH, Urt. v. 13.10.2011 – C-463/10 P und C-475/10 P [Deutsche Post AG und Bundesrepublik Deutschland/Europäische Kommission Nn. 43 bis 45, 47]). Unerheblich ist insoweit, ob die angegriffene Handlung für den Fall ihrer Nichtbefolgung Sanktionen vorsieht (EuGH, a.a.O. Nr. 48]).
Rdn 568
2. Unzulässig sind danach Klagen gegen Rechtsakte mit nur allgemeiner Geltung, wie dann, wenn sie einen objektiven Tatbestand aufweisen und Rechtswirkungen gegenüber allgemein und abstrakt umschriebenen Personen erzeugen (Grote/Marauhn/Schorkopf, Kap. 30 Rn 140 m.w.N.). Prüfungsmaßstab danach sind regelmäßig die Rechtswirkungen, die ein Rechtsakt erzeugen soll und tatsächlich erzeugt. Für die Feststellung, ob einer Maßnahme Rechtswirkung zukommt, ist weniger auf die formelle Bezeichnung abzustellen als vielmehr auf die nach außen gerichtete Verbindlichkeit der Maßnahme, wobei bisweilen auch interne Organisationsregelungen eines Organs verbindliche Rechtswirkungen nach außen oder gegenüber seinen Mitgliedern entfalten können. Entscheidend ist, dass die Organhandlung die Rechtslage des Adressaten entweder rechtsgestaltend oder durch rechtsverbindliche Feststellung ändert. Erfasst sind damit Willenskundgebungen von einer gewissen Selbstständigkeit, Förmlichkeit und Endgültigkeit Rengeling/Middeke/Gellermann, § 7 Rn 31). Unbeachtlich ist, ob sich der abstrakte Adressatenkreis bereits im Zeitpunkt des Erlasses bestimmen lässt, so lange die Anwendung auf der Basis einer objektiven rechtlichen oder tatsächlichen Situation erfolgt, die in dem Rechtsakt im Zusammenhang mit seiner Zielrichtung umschrieben ist (Grote/Marauhn/Schorkopf, a.a.O.).
Rdn 569
3.a) Zwischenmaßnahmen, die nur der Vorbereitung der endgültigen Entscheidung dienen, können grds. nicht Gegenstand einer Nichtigkeitsklage sei...