Dr. Andreas Geipel, Daniel Hagmann
Das Wichtigste in Kürze:
1. |
Vor der Begründung der Menschenrechtsbeschwerde ist zunächst der Geltungsbereich der EMRK bezogen auf die beanstandete Verletzung zu überprüfen. |
2. |
Der Vortrag muss hinreichend substantiiert sein. |
3. |
Der Aufbau der Begründung sollte in Sachverhalt und rechtlichen Ausführungen im Allgemeinen und bezogen auf den konkreten Einzelfall unterteilt werden. |
4. |
Der Sachverhalt ist dezidiert unter Vorlage entsprechender Belege darzulegen. |
5. |
Jeder einzelne Konventionsverstoß ist konkret zu benennen und darzulegen. |
6. |
Der Gerichtshof ist keine "Vierte Instanz"; seine Prüfungskompetenz erstreckt sich allein auf die Feststellung von Konventionsverletzungen. |
Rdn 41
Literaturhinweise:
Myer/Mol/Kempees/van Steijn/Bockwinkel/Uerpmann, EGMR-Verfahren: Die häufigsten Irrtümer bei Einreichen einer Beschwerde, MDR 2007, 505
Rogge, Die Einlegung einer Menschenrechtsbeschwerde, EuGRZ 1996, 341
s.a. die Hinw. bei → Menschenrechtsbeschwerde, Allgemeines, Teil C Rdn 2.
Rdn 42
1. Vor der eigentlichen Ausarbeitung der konventionsrechtlichen Begründung der einzelnen Rügen muss zunächst überprüft werden, ob der Beschwerdegegner (→ Menschenrechtsbeschwerde, Beschwerdegegner, Teil C Rdn 74) also die im Fall einer Verurteilung durch den EGMR verpflichtete Partei, die EMRK und ihre Zusatzprotokolle als Vertragspartei ratifiziert hat. Bislang liegen 16 Protokolle zur Ergänzung der EMRK vor. Die in der Konvention geregelten Verfahren betreffen die Protokolle Nr. 2, 3, 5, 8, 9, 11, 15 und 16. Die übrigen Protokolle, welche materielle Grundrechte gewähren, sind als Zusatzprotokolle ausgestaltet. Sie binden grds. nur die ratifizierenden Staaten mit der Folge unterschiedlicher Standards.
☆ Es ist also stets vorab zu klären , ob das Konventionsrecht überhaupt gegenüber der belangten Vertragspartei mit Blick auf die gerügte Maßnahme geltend gemacht werden kann oder ob es den Staat mangels Ratifikation des betreffenden Protokolls oder wegen eines Vorbehalts nach Art. 57 EMRK nicht bindet (→ Menschenrechtsbeschwerde, Zulässigkeit, Zulässigkeitsvoraussetzungen , Teil C Rdn 424 , 442 ).vorab zu klären, ob das Konventionsrecht überhaupt gegenüber der belangten Vertragspartei mit Blick auf die gerügte Maßnahme geltend gemacht werden kann oder ob es den Staat mangels Ratifikation des betreffenden Protokolls oder wegen eines Vorbehalts nach Art. 57 EMRK nicht bindet (→ Menschenrechtsbeschwerde, Zulässigkeit, Zulässigkeitsvoraussetzungen, Teil C Rdn 424, 442).
Rdn 43
Ist der räumliche (ratione loci), persönliche (ratione personae), zeitliche (ratione temporis) und materielle (ratione materiae) Geltungsbereich der EMRK eröffnet (SK-StPO-Paeffgen, Art. 1 EMRK Rn 4 f.) und sind auch die übrigen Voraussetzungen der Zulässigkeit erfüllt (→ Menschenrechtsbeschwerde, Zulässigkeit, Zulässigkeitsvoraussetzungen, Teil C Rdn 423; → Menschenrechtsbeschwerde, Frist, Teil C Rdn 180), kann mit der Ausarbeitung der materiellen Begründung der Menschenrechtsbeschwerde begonnen werden.
Rdn 44
2. Ein "Patentrezept" für die inhaltliche Gestaltung einer Beschwerdeschrift gibt es nicht. Dem Beschwerdeführer steht, in den Grenzen der Verfahrensanordnungen, der Verfahrensordnung und der Konvention (→ Menschenrechtsbeschwerde, Beschwerdeschrift, formale Anforderungen, Teil C Rdn 80), die Ausgestaltung seiner materiellen Rügebegründung grds. frei. Der Vortrag des Beschwerdeführers muss aber inhaltlich ausreichend substantiiert sein. Auch wenn die Anforderungen nicht so streng sind wie bei einer Verfassungsbeschwerde (EGMR, Urt. v. 10.8.2006 – 75737/01 [Schwarzenberger/Deutschland Nr. 31], NJW 2007, 3553), sind die einzelnen Beschwerdepunkte gleichwohl aus sich heraus verständlich und in der Sache hinreichend deutlich darzulegen (→ Menschenrechtsbeschwerde, Beschwerdegegenstand, Teil C Rdn 62; zur Verfassungsbeschwerde → Verfassungsbeschwerde, Begründung, Allgemeines, Teil C Rdn 786, m.w.N.; zur Revision → Revision, Allgemeines, Teil A Rdn 2045, m.w.N.).
Rdn 45
3.a) Angelehnt an die Praxis der höchstrichterlichen Rspr. bei der Urteilsabfassung (Pabel EuGRZ 2006, 8 für den EGMR; Jestedt/Lepsius/Möllers/Schönberger, S. 147 f. für das BVerfG) bietet sich für die formale Gestaltung an, nach den Feststellungen zum Sachverhalt nicht sogleich eine konkrete rechtliche Prüfung des Falls anhand der paraten Fakten, sondern zunächst eine knappe Darstellung der entsprechenden, von der Rspr. herausgearbeiteten, allgemeinen konventionsrechtlichen Grundsätze vorzunehmen. Im Anschluss hieran können diese als Maßstab für die Begründung der konkreten Rüge herangezogen werden. Diese Arbeitsweise gewährleistet für den Bearbeiter einer Menschenrechtsbeschwerde die für eine sachgerechte Schwerpunktbildung notwendige Übersichtlichkeit und mindert die Gefahr der Wiederholung.
Rdn 46
b) Die Begründung einer Menschenrechtsbeschwerde sollte daher, nach der Prüfung ihrer Zulässigkeit, in drei wesentliche Bereiche unterteilt werden:
▪ |
die konkrete und objektive Darlegung eines aus sich sel... |