Dr. Andreas Geipel, Daniel Hagmann
Das Wichtigste in Kürze:
1. |
Die Beteiligung Dritter am Verfahren ist nur vorgesehen, wenn das Verfahren vor der Kammer oder der Großen Kammer stattfindet. |
2. |
Der Staat, dessen Staatsangehörigkeit der Beschwerdeführer hat, wird durch Übersendung einer Kopie der Beschwerde informiert, sobald diese dem beschwerdegegnerischen Staat zur Kenntnis gegeben wird. Er muss binnen einer Frist von 12 Wochen mitteilen, ob er sich beteiligen will. |
3. |
Andere betroffene und interessierte Personen können aufgefordert oder ermächtigt werden, zum Verfahren Stellung zu nehmen oder in außergewöhnlichen Umständen an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen. Sie können die Teilnahme auch selbst beantragen. |
4. |
Internationale Organisationen und deren Organe können zum Zweck der Interessenwahrung oder der Rechtsfindung beigezogen werden. |
5. |
Die Anhörung anderer Vertragsstaaten kommt z.B. in Betracht, wenn die Beschwerde allgemeine völkerrechtliche Fragen aufwirft. |
6. |
Die schriftlichen Stellungnahmen der Drittbeteiligten müssen in einer der Verfahrenssprachen erfolgen und werden den Parteien zur Kenntnis- und Stellungnahme gegeben. |
7. |
Abzuwarten ist die weitere Entwicklung der Drittbeteiligung nach einem etwaigen Beitritt der EU zur EMRK. |
Rdn 91
Literaturhinweise:
s. die Hinw. bei → Menschenrechtsbeschwerde, Allgemeines, Teil C Rdn 2
→ Menschenrechtsbeschwerde, EGMR – Verfahrensgrundsätze, Teil C Rdn 127.
Rdn 92
1. Die Beteiligung Dritter am Verfahren ("third party intervention"/"tierce intervention") ist nur vorgesehen, wenn das Verfahren vor der Kammer oder der Großen Kammer stattfindet (Art. 36 Abs. 1, Abs. 3 EMRK, Art. 44 Abs. 3 VerfO-EGMR). Der Vertragsstaat, dessen Staatsangehörigkeit der Beschwerdeführer hat und der Kommissar für Menschenrechte des Europarats können schriftliche Stellungnahmen abgeben und an der mündlichen Verhandlung teilnehmen (Art. 36 Abs. 1 EMRK). Außerdem kann der Präsident der Kammer im Interesse der Rechtspflege jedem Vertragsstaat, der nicht Partei des Verfahrens ist, sowie jeder anderen betroffenen oder interessierten Person Gelegenheit geben, schriftlich Stellung zu nehmen oder an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen (Art. 36 Abs. 2 EMRK).
Rdn 93
2.a) Der Staat, dessen Staatsangehörigkeit der Beschwerdeführer hat, wird durch Übersendung einer Kopie der Beschwerde informiert, sobald diese dem beschwerdegegnerischen Staat zur Kenntnis gegeben wird (Art. 44 Abs. 1a S. 1 VerfO-EGMR). Diese Beteiligungsform ist Ausdruck des völkerrechtlichen Instituts des diplomatischen Schutzes (Karpenstein/Mayer/Wenzel, Art. 36 EMRK Rn 3 m.w.N.).
Rdn 94
b) Will der Staat von seinem Beteiligungsrecht Gebrauch machen, muss er dies dem Kanzler binnen einer Frist von grds 12 Wochen ab Erhalt der Beschwerde schriftlich mitteilen (Art. 44 Abs. 1b S. 1 VerfO-EGMR). Im Verfahren vor der Großen Kammer entspricht der Fristbeginn dem Zugang der Mitteilung der Abgabe des Verfahrens an die Große Kammer oder der Mitteilung des Ausschusses der Großen Kammer, dass dem Antrag auf Verweisung an die Große Kammer stattgegeben wird (Art. 44 Abs. 4a VerfO-EGMR; → Menschenrechtsbeschwerde, Verfahrensablauf, Verfahren vor der Großen Kammer, Teil C Rdn 381 f.). Wird in einer Rechtssache entschieden, eine mündliche Verhandlung durchzuführen, wird der Staat gleichermaßen unterrichtet und muss seine Absicht, an der Verhandlung teilzunehmen, ebenfalls in der Frist von grundsätzlich 12 Wochen schriftlich anzeigen (Art. 44 Abs. 1a S. 2, Abs. 1b S. 1 VerfO-EGMR).
Rdn 95
c) Der Kommissar für Menschenrechte muss seine Teilnahmeabsicht in gleicher Weise wie der drittbeteiligte Vertragsstaat anzeigen, Art. 44 Abs. 2 VerfO-EGMR. Seit Einführung seiner spezifischen – also über Art. 36 Abs. 2 EMRK hinausgehenden – Teilnahmeberechtigung zum 1.6.2010 hat der Kommissar bisher nur einmal aus eigener Initiative seine Beteiligung als Dritter angezeigt und wahrgenommen (im noch nicht entschiedenen Fall Center of Legal Ressources on behalf of Valentin Campeanu/Rumänien – 47848/08).
Rdn 96
3.a) Andere Personen – die Konvention und die Verfahrensordnung sprechen hier von betroffenen und interessierten Personen (persons concerned/personnes intéressé) – können aufgefordert oder ermächtigt werden, zum Verfahren Stellung zu nehmen oder in außergewöhnlichen Umständen an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen (Art. 36 Abs. 2 EMRK).
Rdn 97
b) Sie können ihre Beteiligung als Dritter selbst beantragen (Art. 44 Abs. 3 VerfO-EGMR). Dieser Antrag muss begründet werden und spätestens 12 Wochen nach Zustellung der Beschwerdeschrift an die gegnerische Partei oder binnen einer anderen vom Kammerpräsidenten bestimmten Frist in einer der Verfahrenssprachen (→ Menschenrechtsbeschwerde, Sprache, Teil C Rdn 292; zur Zustellung → Rechtsmittel/Rechtsbehelfe, Zustellung, Allgemeines, Teil A Rdn 1845) vorliegen. Eine Information dieser Dritten von der Beschwerdezustellung durch die Kanzlei des EGMR erfolgt nicht.
☆ Betroffene Dritte können sich über die Veröffentlichung der Liste mit zugestell...