Das Wichtigste in Kürze:

1. Die Nichtigkeitsklage verweist hinsichtlich ihrer Begründetheit auf das Vorliegen einer der in Art. 263 Abs. 2 AEUV genannten Gründe.
2. Unzuständigkeit des handelnden Gemeinschaftsorgans kann zur Begründetheit führen.
3. Die Verletzung wesentlicher Formvorschriften begründet die Nichtigkeit und damit die Anfechtbarkeit eines Rechtsaktes.
4. Auch die Verletzung der Verträge oder bei ihrer Durchführung anzuwendender Rechtsnormen führt zu Begründetheit der Nichtigkeitsklage.
5. Schließlich kann auch Ermessensmissbrauch gerügt werden.
 

Rdn 465

 

Literaturhinweise:

Baumeister, Effektiver Individualrechtsschutz im Gemeinschaftsrecht, EuR 2005, 1

v. Burchard, Der Rechtsschutz natürlicher und juristischer Personen gegen EG-Richtlinien gemäß Art. 173 Abs. 2 EWGV, EuR 1991, 140

Calliess, Kohärenz und Konvergenz beim europäischen Individualschutz, NJW 2002, 3577

Fredriksen, Individualklagemöglichkeiten vor den Gerichten der EU nach dem Vertrag über eine Verfassung für Europa, ZEuS 2005, 99

s.a. die Hinw. bei → Menschenrechtsbeschwerde, Allgemeines, Teil C Rdn 2, und bei → Nichtigkeitsklage, Allgemeines, Teil C Rdn 458.

 

Rdn 466

1. Die Nichtigkeitsklage verweist hinsichtlich ihrer Begründetheit auf das Vorliegen einer der in Art. 263 Abs. 2 AEUV genannten Gründe: Danach kann mit der Nichtigkeitsklage

die Unzuständigkeit (Rdn 468 ff.),
die Verletzung wesentlicher Formvorschriften (Rdn 470 ff.),
die Verletzung der Verträge oder einer bei ihrer Durchführung anzuwendenden Rechtsnorm (Rdn 477 ff.) oder
Ermessensmissbrauch (Rdn 480) gerügt werden.
 

Rdn 467

Die Nichtigkeitsklage ist begründet, wenn der angefochtene Rechtsakt einen oder mehrere Anfechtungstatbestände erfüllt und dieser Mangel entweder vom Kläger gerügt wurde oder von Amts wegen zu beachten ist (Calliess/Ruffert/Cremer, Art. 263 AEUV Rn 82). Maßgeblich ist das Vorliegen des Fehlers zum Zeitpunkt des Erlasses des Rechtsakts (Geiger/Khan/Kotzur/Kotzur, Art. 263 AEUV Rn 34).

 

Rdn 468

2. Unzuständig ist das handelnde Gemeinschaftsorgan, dem die Kompetenz zum Erlass der angegriffenen Handlung fehlt (Grote/Marauhn/Schorkopf, Kap. 30 Rn 149 m.w.N.). In Betracht kommt hier die Unzuständigkeit der Union, die Unzuständigkeit des Organs sowie die räumliche und sachliche Unzuständigkeit (Calliess/Ruffert/Cremer, Art. 263 AEUV Rn 83 m. jeweils w.N.). Insoweit gelten folgende

 

Rdn 469

 

Zuständigkeitsregeln:

Die Zuständigkeit der Union folgt aus den geschlossenen Verträgen, Art. 4 Abs. 1 EUV. Überschreitet die Union die ihr in den Verträgen zugewiesenen Aufgabenbereiche, entbehrt ihre Handlung der Rechtsgrundlage (EuGH, Urt. v. 10.12.1969 – C-6 und 11/69 [Kommission/Frankreich Nr. 10 bis 13]). Die Grenzen der Unionszuständigkeit ergeben sich aus dem in Art. 5 Abs. 1 und 2 bis 4 EUV verankerten Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung, dem Subsidiaritätsprinzip und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (ausführlich dazu Pechstein, Rn 548 f.). Neben einer ausdrücklichen Kompetenzzuweisung kann sich die Zuständigkeit der EU aus dem staats- und völkerrechtlichen Grundsatz der Zuständigkeit kraft Sachzusammenhangs ergeben (EuGH, Urt. v. 31.3.1970 – C-22/70 [Kommission/Rat Nr. 12 bis 31]).
Die Zuständigkeit des handelnden Organs bestimmt sich nach dem Zuständigkeitsbereich der anderen Organe. Es ist Unionsorganen nicht gestattet, in den Kompetenzbereich anderer Organe einzugreifen, auch dann, wenn diese selbst untätig bleiben (v. d. Groeben/Schwarze/Gaitanides, Art. 230 EGV Rn 119 unter Bezugnahme auf EuGH, Urt. v. 15.12.1987 – C-332/85 [Deutschland/Kommission Nr. 20], Slg. 1987, 5143, 5169). Auch insoweit gilt das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung (Art. 13 Abs. 1 S. 2 EUV).
Die räumliche Unzuständigkeit ist gegeben, wenn der angegriffene Gemeinschaftsrechtsakt seine Wirkung nicht zumindest auch innerhalb des Geltungsbereich der Verträge nach Art. 52 EUV entfaltet (Grabitz/Hilf/Booß, Art. 230 EGV Rn 100). Sie liegt vor, wenn sich die Folgen des angegriffenen Rechtsakts auf Hoheitsgebiete außerhalb der EU und damit ihrer Rechtsetzungskompetenz erstrecken.
Die sachliche Unzuständigkeit ist gegeben, wenn sich das handelnde Organ einer unzulässigen Handlungsform bedient; ist eine solche durch die zugrunde liegende Einzelermächtigung vorgeschrieben, muss sie auch gewählt werden (Pechstein, Rn 551). Insoweit kann es zu Überschneidungen oder Abgrenzungsschwierigkeiten mit den Anfechtungstatbeständen der Verletzung wesentlicher Formvorschriften und des Ermessensmissbrauchs kommen (Grabitz/Hilf/Booß, Art. 230 EGV Rn 101).
 

☆ Der EuGH prüft die Unzuständigkeit von Amts wegen , da die Zuständigkeitsverteilung zum Schutz des institutionellen Gleichgewichts gehört (Streinz/ Ehricke , Art. 263 AEUV Rn 74 m.w.N. [ gemeinschaftsrechtlicher ordre public ]). Die Rüge der Unzuständigkeit kann jederzeit erhoben werden, eine Verfristung gibt es bei ihr nicht; mit der Unzuständigkeitsrüge können daher auch Rechtsakte angegriffen werden, die wegen unterlassener ...

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