Das Wichtigste in Kürze:

1. Das Recht auf ein faires Verfahren hat Verfassungsrang.
2. Aus dem Prinzip des fairen Verfahrens ergibt sich insbesondere das Gebot der Waffengleichheit.
3. Aus dem Prinzip des fairen Verfahrens lässt sich das grundsätzliche Recht auf eigene Beweisanträge herleiten, sowie das Gebot der Ermittlung des wahren Sachverhalts im Strafprozess. Das Verhältnis zu Art. 103 Abs. 1 GG ist aber weitgehend ungeklärt.
4. Das Recht auf ein faires Verfahren ist von der Rspr. der Obergerichte inhaltlich konkretisiert worden.
 

Rdn 864

 

Literaturhinweise:

Deckers, Strafverteidigung im Gegenwind, AnwBl. 2009, 241

Eschelbach, Rechtsfragen zum Einsatz von V-Leuten, StV 2000, 392

Fezer, Revisionsurteil oder Revisionsbeschluss – Strafverfahrensnorm und Strafverfahrenspraxis in dauerhaftem Widerstreit?, StV 2007, 40

Geipel, Der überlegene Zivilprozess und die bedeutungslose Tatsache, ZAP F. 13, S. 1777

Peters, Justizgewährungspflicht und Abblocken von Verteidigungsvorbringen in: Festschrift für Dünnebier, 1982, S. 53

Prütting/Gehrlein, ZPO, 2010

Rosenau, Die offensichtliche Unbegründetheit der "oU"-Verwerfung nach § 349 Abs. 2 StPO in der Spruchpraxis des BGH, ZIS 2012, 195

Strate, Freie Beweiswürdigung und gebundene Beweiserhebung, in: Festschrift für Peter Riess, 2002, S. 611

Thomas/Putzo, ZPO, 36. Aufl. 2015

Zöller, ZPO, 31. Aufl. 2016

s.a. die Hinw. bei → Verfassungsbeschwerde, Allgemeines, Teil C Rdn 730.

 

Rdn 865

1. Das Recht auf ein faires Verfahren hat ebenfalls Verfassungsrang. Dieses Recht wird in st.Rspr. vom BVerfG aus dem Rechtsstaatsprinzip hergeleitet (vgl. bereits BVerfGE 26, 66, 71 und BVerfGE 118, 212, 231). Nach der Rspr. des BVerfG sind an diesem allgemeinen Prozessgrundrecht alle diejenigen Beschränkungen zu messen, die von den spezielleren grundrechtlichen Verfahrensgarantien nicht erfasst werden (BVerfGE 109, 13, 34).

 

Rdn 866

2. Hieraus soll sich das Prinzip der "Waffengleichheit zwischen den Strafverfolgungsbehörden einerseits und dem Beschuldigten andererseits" ergeben (vgl. BVerfGE 110, 226, 253).

 

Rdn 867

Das klingt gut, aber von Waffengleichheit kann im deutschen Strafprozess keine Rede sein. Es ist sicher richtig, dass die in der Rollenverteilung begründeten verfahrensspezifischen Unterschiede in den Handlungsmöglichkeiten von StA und Verteidigung nicht in jeder Beziehung ausgeglichen werden müssten (BVerfGE 122, 248, 272), aber die strukturelle Unfairness des deutschen Strafprozesses ergibt sich vor allem aus dem häufig anzutreffenden Schulterschluss zwischen StA und Gericht (vgl. dazu a. Roxin/Schünemann, § 69 Rn 2). Zu Recht weist Deckers (AnwBl. 2009, 241 f.) darauf hin: "Der Strafprozess ist ein reformierter Inquisitionsprozess mit allen damit verbundenen nachteiligen Folgen für die Strafverteidigung – und die große Reform ist ausgeblieben. Stattdessen belegen viele Novellen der Strafprozessordnung nur das institutionelle Misstrauen gegen den Beschuldigten und seine Verteidigung" (vgl. a. Löwe-Rosenberg, 21. Aufl., 1977, Ergänzungsband, Einleitung, S. 2: wo ebenfalls darauf hingewiesen wird, dass es in diesem System für die Verteidigung keine Waffengleichheit geben kann). Roxin/Schünemann sprechen ebenso zutreffend von einem "Akkusationsprozess mit inquisitorischer Hauptverhandlung" (vgl. Roxin/Schünemann, § 17 Rn 6).

 

Rdn 868

Zum Beweis ist hinzuweisen auf folgende

 

Rechtsprechungsbeispiele:

Die bemerkenswert enge Verschlingung von StA und Revisionsgericht zeigt sich darin, dass in der überwiegenden Anzahl der Fälle die StA die Revisionsentscheidungsgründe liefert, statt des Revisionsgerichts, wodurch gegen den Grundsatz der "strafprozessualen Gewalttrennung" verstoßen wird (vgl. statt vieler Fezer StV 2007, 40; Peters, S. 53, 69, s. dazu a. → Revision, Entscheidung, Beschluss, Teil A Rdn 2142; → Revision, Verfahrensablauf, Teil A Rdn 2282; → Verfassungsbeschwerde, Begründung, ineffektiver Rechtsschutz, Teil C Rdn 903; → Verfassungsbeschwerde, Begründung, gesetzlicher Richter, Teil C Rdn 892). Denn wenn – wie von der h.A. – angenommen wird, durch die "o.U.-Verwerfung" konkludent eine Bezugnahme auf die von der StA gelieferten Gründe stattfindet, ist nicht mehr verständlich, wie diese Annahme aufrechterhalten werden kann, wenn der Revisionsführer eine Gegenerklärung abgegeben hat, auf die weder StA, noch Gericht eingehen → Anhörungsrüge, Allgemeines, Teil B Rdn 15 f.). Tatsächlich wird sogar berichtet, dass hierdurch das den Angeklagten schützende Einstimmigkeitsprinzip (§ 349 Abs. 2) durchbrochen wird, weil es für den dissentierenden Richter und seine Kollegen arbeitsökonomischer sei, entgegen der eigenen Rechtsansicht der "o.U.-Verwerfung" zuzustimmen und Einstimmigkeit trotz innerem Vorbehalts herzustellen, statt auf einer HV mit schriftlicher Urteilsfassung zu bestehen (vgl. Rosenau ZIS 2012 195, 202 m.w.N.).
Auf der Ebene der Tatgerichte ist es mehr als verwunderlich, aber bezeichnend für den Schulterschluss zwischen StA und Gericht, dass sog. "Strafmaßtabellen" oder "Regelfallempf...

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