Rdn 1056

 

Literaturhinweise:

s. die Hinw. bei → Verfassungsbeschwerde, Allgemeines, Teil C Rdn 730.

 

Rdn 1057

1. Der Grundsatz "Keine Strafe ohne Schuld" (nulla poena sine culpa) ist in der Garantie der Würde und Eigenverantwortlichkeit des Menschen (Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 1 GG), sowie im Rechtsstaatsprinzip verankert. Er gebietet, dass Strafen oder strafähnliche Sanktionen in einem gerechten Verhältnis zur Schwere der Tat und zum Verschulden des Täters stehen. Straftatbestand und Strafrechtsfolge müssen sachgerecht aufeinander abgestimmt sein. Insoweit deckt sich der Schuldgrundsatz in seinen die Strafe begrenzenden Auswirkungen mit dem Verfassungsgrundsatz des Übermaßverbots. Er schließt die strafende oder strafähnliche Ahndung einer Tat ohne Schuld des Täters aus (BVerfGE 110, 1, 13).

 

Rdn 1058

2. Der Schuldgrundsatz überschneidet sich mit dem Verhältnismäßigkeitsprinzip (s. dazu: → Verfassungsbeschwerde, Begründung, Verhältnismäßigkeitsprinzip, Teil C Rdn 1083) und dem Gebot der Wahrheitserforschung (s. dazu → Verfassungsbeschwerde, Begründung, Wahrheitserforschungsgebot, Teil C Rdn 1104). Aus verfassungsrechtlichen Gründen muss die Schuld des Verurteilten daher hinreichend festgestellt sein. Das heißt, dass dem Angeklagten Tat und Schuld prozessordnungsgemäß nachgewiesen werden müssen und der Angeklagte bis dahin als unschuldig gilt (vgl. BVerfG, NJW 2013, 1058, 1060 m.w.N.). Formalgeständnisse ohne richterliche Überprüfungen der Richtigkeit reichen nicht (vgl. BGHST 59, 21; BGH NStZ 2014, 53). Daraus folgt, dass die objektiv hohe Wahrscheinlichkeit der Tatbegehung durch den Angeklagten nachvollziehbar dargelegt werden muss (vgl. BVerfG NJW 2003, 2444 f.), was freilich in der Praxis nicht immer erfolgt. Das BVerfG ist bei der Aufstellung des Beweismaßes der "objektiv hohen Wahrscheinlichkeit" von einer zu wohlwollenden Annahme zugunsten der (höchstrichterlichen) Rechtsprechung ausgegangen. Tatsächlich arbeitet die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes nämlich mit drei nicht zu vereinbarenden Beweismaßtheorien (so mit Recht: Herdegen NJW 2003, 3513).

Siehe auch: → Verfassungsbeschwerde, Allgemeines, Teil C Rdn 729, m.w.N.

[Autor] Geipel

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