Detlef Burhoff, Dr. Peter Kotz
Das Wichtigste in Kürze:
1. |
Lange Zeit war es schwierig, als Verteidiger Einblick in die Krankenakte seines Mandanten bei der der Klinik zu erhalten. |
2. |
Das BVerfG hat dann mit einer Grundsatzentscheidung das Akteneinsichtsrecht für die Verteidigung bestätigt und gestärkt. |
3. |
In die Untersuchungsbefunde des SV ist die Einsicht gleichwohl noch immer schwierig zu erreichen. |
4. |
Der Widerruf der Schweigepflichtsentbindung zum Zwecke der Verhinderung der Einführung ungünstiger oder falscher Tatsachen hilft nicht weiter. Eine ablehnende Akteneinsichtsentscheidung muss mit konkreten Tatsachen begründet werden. |
Rdn 80
Literaturhinweise:
Dessecker, Die Überlastung des Maßregelvollzugs, NK 2005, 23 ff
Pollähne, Gutachten über "die Behandlungsaussichten" im Maßregelvollzug, R&P 2005, 171
ders., Verteidigung in Maßregelvollstreckung und -vollzug, StraFo 2007, 404 (Teil 1) und 486 (Teil 2)
Hinne, Das Einsichtsrecht in Patientenakten, NJW 2005, 2270
s.a. die Hinweise bei → Maßregelvollzug, Allgemeines, Teil C Rdn 1 m.w.N.
Rdn 81
1.a) Lange Zeit war es schwierig, als Verteidiger Einblick in die Krankenakte seines Mandanten bei der der Klinik zu erhalten.
☆ Die Akteneinsicht in die Krankenakten ist aber deshalb von besonderer Bedeutung , weil nur so die tatsächlichen Grundlagen für ein Gutachten oder eine ärztliche Stellungnahme der Behandler überprüft werden können.Akteneinsicht in die Krankenakten ist aber deshalb von besonderer Bedeutung, weil nur so die tatsächlichen Grundlagen für ein Gutachten oder eine ärztliche Stellungnahme der Behandler überprüft werden können.
Rdn 82
Der BGH hat noch 1982 und 1989 als Grund für die Ablehnung einen therapeutischen Vorbehalt angenommen (vgl. NJW 1983, 330; 1989, 764) mit der Begründung, es handele sich bei psychiatrischen Aufzeichnungen nicht um objektivierte oder sogar nicht um objektivierbare (sic!) Befunde. Das BVerfG bestätigte diese Rspr., wenn auch schon ansatzweise zweifelnd (vgl. NJW 1999, 1777; krit. zur Rechtsprechung des BGH und zur Bestätigung durch das BVerfG Hinne NJW 2005, 2270 ff.). Die Ablehnung der Akteneinsicht durch die Kliniken wurde regelmäßig auch damit begründet, dass die Gefahr bestehe, der Patient werde sein Verhalten im Maßregelvollzug den für eine positive Prognose erforderlichen Maßstäben gezielt anpassen, weshalb sein Recht auf informationelle Selbstbestimmung zurücktreten müsse. Das Akteneinsichtsrecht des Verteidigers gehe über dasjenige des Patienten nicht hinaus.
Rdn 83
b) Das Einsichtsrecht in die Krankenakten wurde jedoch verstärkt gerichtlich durchgesetzt (vgl. u.a. OLG SchlHA 2006, 215 und 228 m.w.N.; KG StraFo 2007, 173 = StV 2008, 93 f.; differenzierend noch OLG Dresden NStZ 2000, 392; s. auch OLG Celle StraFo 2010, 304 zur Einsicht eines Strafgefangenen in seine Krankenakte wegen geplanter Geltendmachung von Schadensersatz wegen nicht ausreichender Behandlung; LG Landau NStZ 2007, 175 zur Einsicht in den aktuellen Eingliederungs- und Behandlungsplan bzw. Anspruch auf Erhalt einer Kopie; einschränkend im Hinblick auf öffentliche Belange und berechtigte Interessen Dritter aber noch OLG Karlsruhe NStZ-RR 2002, 283).
Rdn 84
2. Erst die neuere Rechtsprechung hat dann den engagierten Verteidiger gestärkt. Das BVerfG hat nämlich mit einer Grundsatzentscheidung das Akteneinsichtsrecht für die Verteidigung bestätigt und gestärkt (BVerfG NJW 2006, 1116 ff. m. Anm. Peter StV 2007, 421u. Klatt JZ 2007, 91). Dem Verteidiger wurde ein grundsätzliches Akteneinsichtsrecht in die Krankenunterlagen des Maßregelvollzugs zugebilligt. Das BVerfG hat den bisherigen Versuchen, die Akteneinsicht abzulehnen, eine eindeutige Absage erteilt. Dazu hat es verwiesen auf folgende
Rdn 85
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Das Recht auf Selbstbestimmung und die personale Würde des Patienten (Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG) gebieten es, jedem Patienten gegenüber seinem Arzt und Krankenhaus grds. einen Anspruch auf Einsicht in die ihn betreffenden Krankenunterlagen einzuräumen (BVerfG NJW 1999, S. 1777). Dieses Informationsrecht des Patienten muss nur zurücktreten, wenn ihm entsprechend gewichtige Belange entgegenstehen. |
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Bei der notwendigen Abwägung kommt dem Informationsinteresse des Patienten grds. Erhebliches Gewicht zu. Ärztliche Krankenunterlagen betreffen mit ihren Angaben über Anamnese, Diagnose und therapeutische Maßnahmen den Patienten unmittelbar in seiner Privatsphäre. |
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Der Untergebrachte kann seinen Arzt und andere Therapeuten nicht frei wählen. |
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In einem Bereich, der wie der Maßregelvollzug – in einem gewissen Maße zwangsläufig – durch ein besonders hohes Machtgefälle zwischen den Beteiligten geprägt ist, sind die Grundrechte der Betroffenen naturgemäß besonders gefährdet. Dies gilt auch in Bezug auf die Führung der Akten und den Zugang zu ihnen. |
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Die Akteneinträge sind als wesentlicher Teil der Tatsachengrundlage für künftige Vollzugs- und Vollstreckungsentscheidungen Von ihnen hängt sowohl die Ausgestaltung des Vollzugsalltags des Betroffenen und dessen Aussicht, einzel... |