Detlef Burhoff, Dr. Peter Kotz
Das Wichtigste in Kürze:
1. |
Gesetzlich ist der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in § 62 StGB geregelt. Die konkrete Ausgestaltung obliegt den Gerichten. |
2. |
Gesetzlich geregelt ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bezogen auf die Maßregeln der Besserung und Sicherung in § 62 StGB, der auch in Vollstreckung und Vollzug gilt |
3. |
Grundlegend hat sich das BVerfG bereits 1986 zur konkreten Ausgestaltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes geäußert. |
4. |
Wenn die psychische Erkrankung (Defektzustand) nach dem erreichten Stand der Behandlung noch immer vorliegt, ist es unerheblich, ob der Untergebrachte für die deswegen zu erwartenden künftigen Straftaten voraussichtlich teilweise oder voll verantwortlich wäre. In solchen Fällen ist – ohne dass es auf die Erheblichkeit einer Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit ankommt – die Fortdauer der Unterbringung dann anzuordnen, wenn die Gefahr besteht, der Untergebrachte werde infolge seines Zustandes weitere erhebliche rechtswidrige Straftaten begehen. |
5. |
Wird die Maßregel wegen Unverhältnismäßigkeit für erledigt erklärt, tritt i.d.R. Führungsaufsicht ein und es ist ggf. auch mit dem Vollzug der Reststrafe zu rechnen. |
Rdn 163
Literaturhinweise:
S. die Hinweise bei → Maßregelvollzug, Allgemeines, Teil C Rdn 2.
Rdn 164
1.a) In der anwaltlichen Praxis spielt bei im psychiatrischen Krankenhaus Untergebrachten) § 63 StGB) die Frage der Verhältnismäßigkeit der (weiteren) Unterbringung häufig eine große Rolle. Das gilt vor allem, weil die durchschnittliche Unterbringungsdauer steigt, nachdem sie in den 80er und 90er Jahren gesunken war. Im Jahr 2006, als zuletzt – soweit möglich – verlässliche Zahlen erhoben wurden, lag die durchschnittliche Verweildauer der Entlassenen bei 6,6 Jahren (vgl. ausf. Pollähne NK 2015, 25 ff. m.w.N.).
☆ Ist die Unterbringungsdauer zu lang, tritt Erledigung wegen Unverhältnismäßigkeit ein (§ 67d Abs. 6 S. 1 Alt. 2 StGB), vollkommen unabhängig von einer möglicherweise fortbestehenden Gefährlichkeitsprognose (vgl. etwa BVerfG NJW 1995, 3048; OLG Celle NStZ 1989, 491; OLG Hamburg NStZ-RR 2005, 40; OLG Karlsruhe NStZ 1999, 37).Erledigung wegen Unverhältnismäßigkeit ein (§ 67d Abs. 6 S. 1 Alt. 2 StGB), vollkommen unabhängig von einer möglicherweise fortbestehenden Gefährlichkeitsprognose (vgl. etwa BVerfG NJW 1995, 3048; OLG Celle NStZ 1989, 491; OLG Hamburg NStZ-RR 2005, 40; OLG Karlsruhe NStZ 1999, 37).
Rdn 165
b) Maßstab für die Bedeutung der Tat (§ 62 StGB) ist der vom Gesetz vorgesehene Strafrahmen (in den Fällen des § 20 StGB) bzw. in den Fällen, in welchen eine Begleitstrafe verhängt wurde, das konkret ausgeurteilte Strafmaß. Geht die freiheitsentziehende Maßregel erheblich darüber hinaus, ist die Verhältnismäßigkeit zu prüfen und kann diese auch dann entfallen, wenn die Gefährlichkeitsprognose fortbesteht (BVerfG NJW 1995, 3048; OLG Hamm R&P 2004, 42 f.; vgl. auch, NK-Pollähne, § 67d Rn 25 ff.). Das Gericht kann den Zeitpunkt der Unverhältnismäßigkeit aber hinauszögern, indem es Vollzugslockerungen anregt bzw. die Klinik auffordert, solche zu gewähren, da dem Verurteilten so eine Entlassperspektive gegeben wird (BVerfG, Beschl. v. 2.3.2005 – 2 BvR 241/05).
Rdn 166
2. Gesetzlich geregelt ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bezogen auf die Maßregeln der Besserung und Sicherung in § 62 StGB, der auch in Vollstreckung (vgl. BVerfGE 70, 297 ff.; Kruis StV 1998, 94) und Vollzug gilt, wenn Fortdauerentscheidungen getroffen werden müssen (Fischer, § 62 Rn 6; NK-Pollähne § 62 Rn 14; BVerfGE 70, 312; NJW 1995, 3048; BVerfGE 109, 133; BVerfG R&P 2010, 163; BVerfG NStZ-RR 2013, 72). Letztlich bietet das Gesetz naturgemäß aber nur eine vage Richtschnur.
☆ Das übergeordnete Prinzip der Verhältnismäßigkeit wirkt immer dann als Korrektiv , wenn die tatsächliche Dauer der Freiheitsentziehung in einem krassen Missverhältnis zur Schwere der vom Täter begangenen und zu erwartenden Taten steht, gleichwohl aber die Gefährlichkeit weiterhin bejaht wurde.Korrektiv, wenn die tatsächliche Dauer der Freiheitsentziehung in einem krassen Missverhältnis zur Schwere der vom Täter begangenen und zu erwartenden Taten steht, gleichwohl aber die Gefährlichkeit weiterhin bejaht wurde.
Rdn 167
3.a) Grundlegend hat sich das BVerfG bereits 1986 zur konkrete Ausgestaltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes geäußert (BVerfG NJW 1986, 767; sog. "Pelzmanteldieb-Entscheidung"). Diese Rechtsprechung wird seither insbesondere durch die OLG, aber – in extremen Ausnahmefällen – auch gelegentlich durch das BVerfG selbst konkretisiert (vgl. dazu aus neuerer Zeit BVerfG R&P 2015, 100). Danach beherrscht der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Anordnung und Fortdauer der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus. Die gebotene Abwägung zwischen dem Freiheitsanspruch des Einzelnen und den Sicherungsinteressen der Allgemeinheit hat die von dem Täter ausgehenden Gefahren zur Schwere des mit der Maßregel verbundenen Eingriffs ins Verhältnis zu setzen (vgl. BVerfG NJW 1986, 767). Die Beurteilung ...