Das Wichtigste in Kürze:

1. Das Begnadigungsrecht führt in unserem Rechtssystem ein Schattendasein, kann jedoch für einen Verurteilten die letzte Chance sein, eine Milderung oder ein Absehen der Strafe zu erlangen. Gnade kann jedoch nicht willkürlich gewährt werden.
2. Ein erstes Verständnis des Gnadenwesens kann durch eine historische Betrachtung gewonnen werden.
3. Die Geschichte zeigt, dass Gnade stark auch von der Theologie geprägt ist.
4. Einige Philosophen sehen das Gnadenrecht als notwendige Komponente zur Herstellung einer "wahren Gerechtigkeit" an, wobei jedoch willkürliche Gnadenerlasse abgelehnt werden.
5. Nach heutigem Gnadenverständnis bietet Gnade die Möglichkeit rechtskräftig verhängte Strafen zu durchbrechen. Gnade beseitigt nicht die Schuld des Verurteilten.
6. Verwandte Rechtsinstitute sind die Amnestie und Abolitionen.
 

Rdn 2

 

Literaturhinweise:

Beccaria, Die delitti e delle pene, 1871

Birkhoff/Lemke, Gnadenrecht: Ein Handbuch, 2012

Filangieri, System der Gesetzgebung, Band 4, 1784, S. 721 ff.

Grewe, Gnade und Recht, 1936

Geerds, Gnade, Recht und Kriminalpolitik, 1960

Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, 1821, § 282, S. 293 ff.

Kant, Metaphysik der Sitten, 1797, S. 171

Klein, Gnade – ein Fremdkörper im Rechtsstaat, 2001

Grotius, Drei Bücher vom Recht des Krieges und des Friedens nebst einer Vorrede von Christian Thomasius zur ersten deutschen Ausgabe des Grotius vom Jahre 1707, 1950, S. 345 f.

König, Grundrechtsbindung und gerichtliche Nachprüfung von Gnadenakten, 1961

Laband, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, Band III

MAH-Birkhoff/Müller-Jacobsen, Teil D, § 23

Maurer, Das Begnadigungsrecht im modernen Verfassungs- und Kriminalrecht, 1979

Overath, Tod und Gnade. Die Todesstrafe in Bayern im 19. Jahrhundert, 2001

Radbruch, Rechtsphilosophie, 1999, § 24, S. 276, Real, Die Begnadigung im Kanton Aargau – Eine Untersuchung der aargauischen Gnadenpraxis, 1981

Schulz-Merkel, Die Bedeutung und das Wesen des Gnadenrechts bei zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilten Mördern, 2011

ders., Gnadenverfahren – Formelle Voraussetzungen der Gnade, StRR 2015, 324

ders., Gnadenverfahren – Materielle Voraussetzungen der Gnade, StRR 2015, 364

Schätzler, Handbuch des Gnadenrechts – Gnade – Amnestie – Bewährung, 1992

Uppenkamp, Die Begnadigung und ihre Bedeutung bei der lebenslangen Freiheitsstrafe, 1972

Wahl, Gnadenrecht der Bundesrepublik Deutschland, 1952

Wiontzek, Handbuch und Wirkungen des Gnadenrechts, 2008

s.a. die Hinw. bei den u.a. weiterführenden Stichwörtern.

 

Rdn 3

1. Das Begnadigungsrecht führt in unserem Rechtssystem ein Schattendasein, kann jedoch für einen Verurteilten die letzte Chance sein, eine Milderung oder ein Absehen der Strafe zu erlangen. Dass der Gnade wenig Bedeutung zugemessen wird, mag einerseits an den geringen Erfolgschancen liegen, andererseits aber auch daran, dass die Verteidigung häufig nicht weiß, wie Gnade erfolgreich erlangt werden kann. Dies ist keinesfalls verwunderlich, da sich hier die Verteidigung mit außerhalb des Rechts liegenden Gründen zu beschäftigen hat und sich nicht an abstrakt generelle Normen halten kann. Feste Gnadengründe gibt es nicht, denn eine Normierung würde dem Wesen der Gnade widersprechen. Um eine positive Gnadenentscheidung zu erlangen, ist ein Grundverständnis des Wesens des Instituts unerlässlich. Gerade dies soll vorab geschaffen werden, bevor der formelle Ablauf (→ Gnade, formelle Fragen, Teil G Rdn 16) und im Anschluss die materiellen Voraussetzungen (→ Gnade, materielle Fragen, Teil G Rdn 73) beschrieben werden können.

 

☆ Ebenso wie es keine festen Gnadengründe gibt, gibt es kein Recht auf Gnade . Dies würde dem Wesen der Gnade widersprechen und vielmehr Recht darstellen. Gnade soll nämlich einen Ausgleich des Rechts bringen, wenn durch abstrakt generelle Normen keine Gerechtigkeit geschaffen werden kann.kein Recht auf Gnade. Dies würde dem Wesen der Gnade widersprechen und vielmehr Recht darstellen. Gnade soll nämlich einen Ausgleich des Rechts bringen, wenn durch abstrakt generelle Normen keine Gerechtigkeit geschaffen werden kann.

 

Rdn 4

2. Ein erstes Verständnis des Gnadenwesens kann durch eine historische Betrachtung gewonnen werden:

 

Rdn 5

Das Gnadenrecht geht zurück in die Antike, wo Gnade durch einen vergöttlichten König ausgeübt wurde und dieser das Gnadenrecht als von Gott übertragene Aufgabe ausübte. Gerade in der germanischen Zeit, in der man sich an das Gewohnheitsrecht hielt, stellte Gnade einen Einbruch des Göttlichen in die irdische Welt dar. So wurden beispielsweise gescheiterte Hinrichtungen (weil z.B. das Beil daneben schlug oder bei zu Erhängenden der Strick riss) die sakrale Todesstrafe abgebrochen und der Hinzurichtende begnadigt, da man das Fehlschlagen als Zeichen Gottes verstand. Es herrschte somit das Verständnis, dass es neben dem geltenden Gewohnheitsrecht eine weitere (göttliche) Komponente gab, die Einfluss auf das Strafen hatte.

 

Rdn 6

Im Mittelalter entwickelte sich ein "Richten nach Gnade". Neben dem bisherigen Gnadenträg...

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