Detlef Burhoff, Dr. Peter Kotz
Das Wichtigste in Kürze:
1. |
Der Gnadenträger trifft unter Zugrundelegung der vorgebrachten Gnadengründe eine freie (Gnaden)Entscheidung. Die Gnadenentscheidung sollte dem Verurteilten schriftlich bekannt gegeben werden. Dies ist jedoch nicht in allen Bundesländern vorgeschrieben. |
2. |
Ob eine ablehnende Gnadenentscheidung nach Art. 19 Abs. 4 GG justiziabel ist, war lange umstritten. Das BVerfG hat jedoch inzwischen entschieden, dass ablehnende Gnadenentscheidungen nicht justiziabel sind. |
3. |
Rücknahme und Widerruf der Gnadenentscheidung sind grds. möglich. Die entsprechende Entscheidung ist anfechtbar. |
Rdn 96
Literaturhinweise:
S. die Hinw. bei → Gnade, Allgemeines, Teil G Rdn 2.
Rdn 97
1. Der Gnadenträger trifft unter Zugrundelegung der vorgebrachten Gnadengründe (→ Gnade, materielle Fragen, Teil G Rdn 73 ff.) eine freie (Gnaden)Entscheidung.
Rdn 98
b) Ob die Entscheidung schriftlich zu erfolgen hat, ist nicht in allen Gnadenordnungen einheitlich. Gerade bei einer positiven Entscheidung ist dies jedoch für die strafvollziehenden Organe hilfreich. In der Entscheidung teilt der Gnadenträger mit, ob eine Begnadigung erfolgt. Sollte das der Fall sein, so wird ausgeführt, welche Vergünstigung gewährt wird und gegebenenfalls Auflagen und Weisungen mitgeteilt. In der Gnadenordnung von Bremen muss der Verurteile, wenn er den Gnadenantrag nicht selbst gestellt hat, innerhalb von einer Frist von zwei Wochen seit Bekanntgabe dem positiven Gnadenerweis zustimmen. Ansonsten wird dem Gnadengesuch nicht entsprochen.
Rdn 99
Sofern dem Gnadengesuch nicht entsprochen wird, ist auch dies dem Verurteilten mitzuteilen und die Gründe sind aktenkundig zu machen. Ob eine Begründung eines ablehnenden Gnadenantrages zu erfolgen hat, ist in den Bundesländern nicht einheitlich. Nach den meisten landesrechtlichen Gnadenvorschriften müssen diese jedoch nicht genannt werden, was zu begrüßen ist. Auch wenn die Gründe für den Verurteilten interessant wären, um zu wissen, wann er einen neuen Gnadenantrag stellen sollte, so spricht doch mehr gegen eine Begründung. Erfolgt eine solche, so besteht die Gefahr, dass der zu Begnadigende versuchen wird, die noch gegen eine Begnadigung sprechenden Gründe, wie z.B. fehlende Reue und Buße, für einen neuen Gnadenantrag zu konstruieren. Zudem besteht für den Gnadenträger die Gefahr, dass die Freiheit der Gnadenentscheidung eingeschränkt wird, wenn er mediale Reaktionen auf seine Begründung zu erwarten hat. Zudem muss etwas, das Recht bleiben soll und bereits von einem Gericht rechtskräftig als Recht bestätigt wurde, nicht begründet werden (näher dazu Schulz-Merkel, a.a.O., S. 69 ff.; Schätzler, a.a.O., S. 178; Hess, a.a.O., S. 793).
Rdn 100
2.a) Ob eine ablehnende Gnadenentscheidung nach Art. 19 Abs. 4 GG justiziabel ist, war lange umstritten. Das BVerfG hat jedoch in einer Leitentscheidung bestimmt, dass ablehnende Gnadenentscheidungen nicht anfechtbar sind (vgl. BVerfGE 25, S. 352), allerdings hatten sich zwei der entscheidenden Richter für und zwei gegen eine Justiziabilität aussprachen. Angesichts der Stimmengleichheit konnte gem. § 15 Abs. 4 S. 3 BVerfGG ein Verstoß gegen das GG oder sonstiges Bundesrecht nicht festgestellt werden. In zwei weiteren Entscheidungen hat das BVerfG dann bestätigt, dass eine Justiziabilität von ablehnenden Gnadenentscheidungen nicht besteht (vgl. BVerfGE 30, 108; 45, 187).
☆ Diese Entscheidungen entfalten nach § 31 Abs. 1 BVerfGG Bindungswirkung für alle Verfassungsorgane des Bundes und der Länder sowie für alle Gerichte und Behörden.Bindungswirkung für alle Verfassungsorgane des Bundes und der Länder sowie für alle Gerichte und Behörden.
b) In der Lit. wird die Frage der Anfechtbarkeit unterschiedlich gesehen:
Rdn 101
Für Anfechtbarkeit wird vorgebracht (Schulz-Merkel, a.a.O., S. 77 ff. m.w.N. und Argumenten), dass in einem demokratischen Rechtsstaat und in der jetzigen Verfassung eine justizfreie Gnade nicht existieren könne (vgl. Klein, a.a.O., S. 71 f.). Art. 19 Abs. 4 GG biete auch einen umfassenden gerichtlichen Schutz gegen Verletzungen der Rechtssphäre des Einzelnen durch die öffentliche Gewalt (vgl. BVerfGE 8, 326; 25, 365; Maurer JZ 1963, S. 26.). Hier könne Gnade nicht herausgenommen werden (vgl. BVerfGE 10, 267). Es wird vorgebracht, dass das GG selbst von einem "Recht" auf Gnadenausübung spreche, da Art. 60 Abs. 2 GG von einem Begnadigungsrecht spreche (vgl. Uppenkamp, a.a.O., S. 165).
Rdn 102
Gegen Anfechtbarkeit spricht (Schulz-Merkel, a.a.O., S. 77 ff. m.w.N.), dass durch Gnade die gerichtliche Entscheidung nicht mehr auf deren Rechtmäßigkeit hin überprüft werden könne und Gnade keine weitere Instanz darstellt (vgl. Uppenkamp, a.a.O., S. 165; Wiontzek, a.a.O., S. 81). Gnade werde auch nicht an bestimmte normative Voraussetzungen geknüpft, was angesichts des Wesens der Gnade als Ausgleich von Unbilligkeiten von Normen auch nicht möglich wäre (vgl. Wiontzek, a.a.O., S. 81 mit Verweis auf BVerfG NJW 2001, 3771). Nachdem es auch kein Recht auf Gnade gebe, könne ...