Entscheidungsstichwort (Thema)

Lohnabrechnung als "Streitlosstellung" der Forderung im Sinne tariflicher Ausschlussfristen. "Streitlosstellung" und zweistufige tarifliche Ausschlussklausel

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die in einer schriftlichen Lohnabrechnung des Arbeitgebers ausgewiesene Lohnforderung gilt als streitlos gestellt und muss nicht noch einmal schriftlich geltend gemacht werden. Die Begründung dafür liegt im Zweck der tariflichen Ausschlussfristen. Der Gläubiger soll die Abrechnung prüfen, der Schuldner soll sich darauf verlassen können, nach Ablauf der tariflichen Verfallfristen nicht mehr weiter in Anspruch genommen zu werden.

2. Anerkannte Ansprüche müssen nicht mehr geltend gemacht werden. Nach einer Streitlosstellung des Anspruchs ist eine Geltendmachung des Anspruchs jedenfalls auf der ersten Stufe einer tariflichen Ausschlussklausel überflüssig. Ist aber die erste Stufe überflüssig bzw. unanwendbar, kann auch die darauf folgende zweite Stufe der tariflichen Ausschlussklausel nicht zur Anwendung kommen.

 

Normenkette

BGB § 307 Abs. 1, § 394 S. 1, § 611a; ZPO § 850c Abs. 1 Nr. 1; RTV Maler-Lackiererhandwerk § 49 Fassung: 2011-10-21

 

Verfahrensgang

ArbG Nordhausen (Entscheidung vom 09.09.2020; Aktenzeichen 2 Ca 189/20)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 03.05.2023; Aktenzeichen 5 AZR 268/22)

 

Tenor

1. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Nordhausen vom 09.09.2020 - Az. 2 Ca 189/20 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

2. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um Zahlungsansprüche und in diesem Zusammenhang um das Eingreifen tarifvertraglicher Ausschlussfristen.

Der Kläger war vom 18.03.2019 bis 06.06.2019 als Malerhelfer bei dem Beklagten beschäftigt. Für den Monat Mai 2019 erteilte der Beklagte eine Entgeltabrechnung (Bl. 4 d. A.) über 1.793,75 € brutto bzw. 1.018,92 € netto.

Im Nachgang erklärte der Beklagte mit Schreiben vom 20.06.2019 (Bl. 29 - 32 d. A.) die Aufrechnung gegen die Nettolohnforderung mit einem behaupteten Schadensersatzanspruch in Höhe von 3.605,09 €.

Unstreitig findet auf das Arbeitsverhältnis der für allgemeinverbindlich erklärte Rahmentarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer im Maler- und Lackiererhandwerk, Bundesrepublik ohne Saarland, vom 30.03.1992 i.d.F. vom 21.10.2011 (im Folgenden RTV) Anwendung. § 49 RTV lautet:

"§ 49 Allgemeine Ausschlußfristen

1. Alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und solche, die mit dem Arbeitsverhältnis in Verbindung stehen, verfallen, wenn sie nicht innerhalb von zwei Monaten nach der Fälligkeit gegenüber der anderen Vertragspartei schriftlich erhoben werden.

2. Lehnt die Gegenpartei den Anspruch schriftlich ab oder erklärt sie sich nicht innerhalb von zwei Wochen nach der Geltendmachung des Anspruches schriftlich, so verfällt dieser, wenn er nicht innerhalb von zwei Monaten nach der Ablehnung oder dem Fristablauf gerichtlich geltend gemacht wird. Dies gilt nicht für Zahlungsansprüche des Arbeitnehmers, die während eines Kündigungsschutzprozesses fällig werden und von dessen Ausgang abhängen. Für diese Ansprüche beginnt die Verfallfrist von zwei Monaten nach rechtskräftiger Beendigung des Kündigungsschutzverfahrens."

Mit seiner Klage am 21.02.2020 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat der Kläger Auszahlung der abgerechneten Vergütung für Mai 2019 verlangt. Er hat dazu die Auffassung vertreten, die von dem Beklagten erhobene Schadensersatzforderung sei unberechtigt, jedenfalls aber mangels gerichtlicher Geltendmachung innerhalb der tarifvertraglichen Ausschlussfrist verfallen. Erstinstanzlich hat der Kläger zudem ab 24.06.2019 eine Verzinsung von 9 %-Punkten über dem Basiszinssatz verlangt, weil er wegen des Zahlungsverzuges ein Darlehen habe aufnehmen müssen.

Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an ihn 1.793,75 € brutto zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz vom 01.06.2019 bis 23.06.2019 sowie Zinsen in Höhe von 9 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 24.06.2019 zu zahlen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte hat erstinstanzlich angeführt, der Kläger habe bei der Ausführung ihm aufgetragener Putzarbeiten an einem Bauvorhaben am 06.05.2019 erhebliche Verkratzungen an den Fenstern des Gebäudes verursacht. Ausweislich eines Kostenvoranschlags vom 29.05.2019 (Bl. 26 - 28 d. A.) sei dabei ein Nettoschaden in Höhe von 7.210,18 € entstanden. Der Kläger habe grob fahrlässig gehandelt und deshalb 50 % des Schadens zu tragen. Wegen des hierzu geführten Vortrags des Beklagten wird auf seinen erstinstanzlichen Schriftsatz vom 18.03.2020 (Seiten 2 bis 4, Bl. 15 - 17 d.A.) verwiesen.

Im Übrigen hat sich der Beklagte auf das Eingreifen der tariflichen Ausschlussfrist in § 49 RTV berufen. Die Lohnansprüche des Klägers seien verfallen, weil er sie nicht rechtzeitig gerichtlich geltend gemacht habe.

Mit Urteil vom 09.09.2020 (Bl. 67 ff. d.A.) hat das Arbeitsgericht Nordhausen unter Klageabweisung im Übrigen dem Kläge...

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