Entscheidungsstichwort (Thema)
Insolvenz nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit Verbindlichkeiten des Neumassegläubigers
Leitsatz (amtlich)
1) Nach angezeigter Masseunzulänglichkeit können auch Masseforderungen im Rang des § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO (sog. Neumasseverbindlichkeiten) nur im Wege der Feststellungsklage geltend gemacht werden.
2) Der erste Termin i. S. des § 209 Abs. 2 Nr. 2 InsO, zu dem der Verwalter nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit kündigen konnte, richtet sich ausschließlich nach der objektiv gegebenen Kündigungsmöglichkeit des Verwalters, nicht aber danach, wann der Verwalter die unternehmerische Entscheidung trifft, den Betrieb des Schuldners stillzulegen.
Normenkette
InsO §§ 208-209
Verfahrensgang
ArbG Nordhausen (Urteil vom 13.12.2001; Aktenzeichen 3 Ca 392/01) |
Nachgehend
Tenor
1) Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Nordhausen vom 13.12.2001, Az.: 3 Ca 392/01, wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
2) Die Revision wird zugelassen.
Gründe
Die Berufung ist unbegründet. Das Arbeitsgericht hat der Klage zu Recht und mit zutreffender Begründung stattgegeben.
I) Die Feststellungsklage ist zulässig.
Der Kläger ist – wie im Rahmen der Begründetheit zu erörtern sein wird – sog. Neumassegläubiger. Seine Forderung ist im Rang des § 209 Abs.1 Nr. 2 InsO zu berichtigen.
Hinsichtlich dieses Anspruchs greift das Vollstreckungsverbot des § 210 InsO nicht ein, denn es gilt ausdrücklich nur für die sog. Altmasseverbindlichkeiten i. S. des § 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO. Wegen des Vollstreckungsverbotes fehlt einer zur Geltendmachung einer Altmasseverbindlichkeit erhobenen Leistungsklage ausnahmsweise das sonst bei Leistungsklagen grundsätzlich gegebene Rechtsschutzbedürfnis. Ein nicht vollstreckungsfähiges Leistungsurteil hätte keine über die Feststellung hinausgehenden Wirkungen. Zulässig ist daher in den Fällen des § 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO lediglich die Feststellungsklage (BAG vom 11.12.2001, AP Nr. 1 zu § 209 InsO).
Im Umkehrschluss aus § 210 InsO wäre zu folgern, dass Masseforderungen im Rang des § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO an sich im Wege der Leistungsklage geltend gemacht werden können (Zwanziger u. a., Lakies, Arbeitsrecht, § 120 Rnr. 42). Dem steht jedoch entgegen, dass nach angezeigter Masseunzulänglichkeit i. S. des § 208 Abs. 1 InsO bereits feststeht oder aber zu erwarten ist, dass die Masse nicht ausreicht, um die sonstigen Masseverbindlichkeiten – dies sind alle Masseverbindlichkeiten mit Ausnahme der Kosten des Insolvenzverfahrens – zu erfüllen. Der Fall kann eintreten, dass die Masse weder zur Befriedigung der Ansprüche der Altmassegläubiger (§ 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO) noch zur vollen Befriedigung der Ansprüche der Neumassegläubiger (§ 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO) ausreicht. Der Insolvenzverwalter kann daher auch in den Fällen des § 209 Abs. 2 Nr. 2 InsO nicht mehr uneingeschränkt zur Leistung verurteilt werden. Nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit ist daher stets Feststellungsklage zu erheben, eine vor Anzeige der Masseunzulänglichkeit erhobene Leistungsklage ist auf eine Feststellungsklage umzustellen (Lakies, a. a. O.; Berscheid, Arbeitsverhältnisse in der Insolvenz, Teil I, Rnr. 777).
Die vom Kläger erhobene Feststellungsklage ist nach allem zulässig, weil Leistungsklage nicht erhoben werden kann und der Kläger ein rechtliches Interesse daran hat, den vom Beklagten bestrittenen Rang der Forderung feststellen zu lassen.
II) Die Klage ist begründet.
Die Vergütungsansprüche des Klägers für die Monate August und September 2001 sind Masseverbindlichkeiten i. S. des § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO. Es handelt sich um Verbindlichkeiten i. S. des § 209 Abs. 2 Nr. 2 InsO, mithin um Verbindlichkeiten für die Zeit nach dem ersten Termin, zu dem der Beklagte nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit kündigen konnte.
Die vom Beklagten im Juli 2000 angezeigte Masseunzulänglichkeit wurde am 19.07.2000 öffentlich bekannt gemacht. Gem. § 208 Abs. 3 InsO besteht die Pflicht des Verwalters zur Verwaltung und zur Verwertung der Masse auch nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit fort. In Wahrnehmung dieser Pflicht hat der Beklagte den Beschäftigungsbetrieb des Klägers fortgeführt, um eine Chance auf Erhalt und sanierende Übertragung zu sichern. Erst als sich im März 2001 herausstellte, dass die Betriebsfortführung wirtschaftlich nicht mehr vertretbar war, leitete der Beklagte Maßnahmen zur Schließung des Beschäftigungsbetriebes des Klägers ein. Im Zuge dieser Maßnahmen wurde dem Kläger im Juni 2001 unter Wahrung der Frist des § 113 InsO, die mit der gemäß Änderungsvertrag vom 15.09.2000 vereinbarten arbeitsvertraglichen Kündigungsfrist übereinstimmte, zum 30.09.2001 gekündigt.
Der Beklagte hat mit der Kündigung den ersten Kündigungstermin nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit nicht gewahrt.
Der maßgebliche Termin ist nach den objektiv gegebenen Kündigungsmöglichkeiten des Insolvenzverwalters zu beurteilen. Für den Zeitrahmen, der bis zur Kündigung zum ersten Termin...