Entscheidungsstichwort (Thema)

Eisenbahndienstzeit – Grundwehrdienst

 

Leitsatz (amtlich)

1) Eine Tätigkeit als Angehöriger der Grenztruppen der DDR im Sinne des § 12 Abs. 1 Nr. 4b AnTV-DR konnte vor dem 01.01.1974 nicht vorliegen, da die Grenztruppen der DDR mit dieser Bezeichnung und als selbständige militärische Organisation erst durch Beschluß des Ministerrates der DDR vom 10.12.1973 (GBl. I S. 555), in Kraft getreten am 01.01.1974, errichtet wurden. Vor diesem Zeitpunkt waren die Grenztruppen eine Untergliederung der NVA.

2) Die allgemeine Wehrpflicht wurde in der DDR durch das Wehrpflichtgesetz vom 24.01.1962 (GBl. I S. 2) eingeführt. Der Wehrdienst konnte bis 01.01.1974 nur bei der NVA abgeleistet werden, auch wenn der Wehrpflichtige zu den Grenztruppen eingezogen worden war.

3) § 12 Abs. 1 Nr. 4 b AnTV-DR ist mit dem Gleichheitssatz des Grundgesetzes nicht vereinbar, soweit er die Angestellten, die zum Grundwehrdienst in den Grenztruppen der DDR eingezogen wurden, gegenüber denjenigen Angestellten benachteiligt, die den Grundwehrdienst bei der NVA abgeleistet haben. Die zum Tarifvertrag für die Arbeiter der Deutschen Bundespost ergangene Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 23.06.1994 (DB 95, 278) ist für die im Bereich der Deutschen Bahn AG geltende Tarifregelung nicht einschlägig.

 

Normenkette

GG Art. 3 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Erfurt (Urteil vom 13.12.1995; Aktenzeichen 7 Ca 466/93)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 29.10.1998; Aktenzeichen 6 AZR 268/97)

 

Tenor

1) Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Erfurt vom 13.12.1995, Az.: 7 Ca 466/93, abgeändert.

Es wird festgestellt, daß die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger die Zeit vom 04.04.1962 bis 23.10.1963 als Dienstzeit im Sinne des § 12 AnTV-DR anzuerkennen,

2) Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen

3) Die Revision wird zugelassen

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Berechnung der Dienstzeit des Klägers

Der am 12.02.1940 geborene Kläger hat am 01.09.1954 seine Lehrausbildung bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten, der …, begonnen. Er war nach Abschluß seiner Ausbildung als Eisenbahner tätig.

Der Kläger hat in der Zeit vom 04.04.1962 bis 23.10.1963 seinen Grundwehrdienst bei der Nationalen Volksarmee (im folgenden: NVA) abgeleistet. Nach dem Ergebnis der Musterung vom 26.03.1962 war der Kläger für die Waffengattung „Infanterie” für geeignet befunden worden, dann jedoch zu einer Grenzbrigade eingezogen worden (Bl. 13, 14 d. A.)

Nach Entlassung aus dem Grundwehrdienst hat der Kläger seine Tätigkeit bei der … wieder aufgenommen. Er ist zwischenzeitlich mit dem 31.01.1996 aus dem Arbeitsverhältnis zur Beklagten ausgeschieden und in den Vorruhestand getreten.

Die Rechtsvorgängerin der Beklagten hat mit Bescheid vom 06.10.1992 den Beginn der Dienstzeit des Klägers auf den 24.10.1963 (dem Tag nach der Entlassung aus dem Wehrdienst) festgesetzt (Bl. 10, 11 d. A.)

Dagegen hat sich der Kläger mit seiner am 30.08.1993 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage gewandt.

Die damalige Beklagte – die … – ist mit Wirkung ab 01.01.1994 auf die … AG, die jetzige Beklagte, übergeleitet worden

Für die Berechnung der Dienstzeit sind folgende Tarifbestimmungen einschlägig:

§ 22 Abs. 1 des Tarifvertrages über die Sicherung der Einkommen und Arbeitsbedingungen für die zur … AG übergeleiteten Arbeitnehmer (ÜTV)

Vorzeiten

Sofern bei der … AG der Anspruch auf tarifvertragliche Leistungen eine Zeit der Zugehörigkeit zur … AG voraussetzt (z. B. Jubiläum, Vermögenswirksame Leistungen), sind auch die Zeiten, die bei den Rechtsvorgängern der … AG in einem ständigen Arbeitsverhältnis zurückgelegt oder angerechnet wurden, zu berücksichtigen.

§ 12 des Tarifvertrages für die Angestellten der … (AnTV- …)

Dienstzeit

(1) 1. E. zeit (Beschäftigungszeit) ist die in einem Arbeits- oder Ausbildungsverhältnis bei der … zurückgelegte Zeit.

4. Von der Berücksichtigung als E. zeit (Beschäftigungszeit) sind ausgeschlossen

  1. Zeiten jeglicher Tätigkeit für das Ministerium für Staatssicherheit/Amt für Nationale Sicherheit (einschließlich der Verpflichtung zu informeller/inoffizieller Mitarbeit).
  2. Zeiten einer Tätigkeit als Angehöriger der Grenztruppen der DDR (AB 2),
  3. Zeiten einer Tätigkeit bei der …, die aufgrund einer besonderen persönlichen Systemnähe übertragen worden war.

    Die Übertragung der Tätigkeit aufgrund einer besonderen persönlichen Systemnähe wird insbesondere vermutet, wenn der Angestellte

    aa) vor oder bei der Übertragung der Tätigkeit eine hauptamtliche oder hervorgehobene ehrenamtliche Funktion in der SED, dem FDGB, der FDJ oder einer vergleichbar systemunterstützenden Partei oder Organisation innehatte,

    bb) als obere oder mittlere Führungskraft in zentralen Staatsorganen, als obere Führungskraft des Rates eines Bezirkes, als Vorsitzender des Rates des Kreises oder einer kreisfreien Stadt (Oberbürgermeister) oder in einer vergleichbaren Funktion tätig war oder

    cc) hauptamtlich Lehrender an den Bildungseinrichtungen der staatstragenden Parteien oder einer Massen- o...

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