Entscheidungsstichwort (Thema)
ordentliche Kündigung wegen Tätigkeit für das MfS. Personalratsanhörung
Leitsatz (redaktionell)
Die Tätigkeit für das MfS rechtfertigt auch bei nachweislich durchgeführter Bespitzelung eine ordentliche Kündigung nicht, wenn der Arbeitnehmer sich in der Zwischenzeit im Dienst bewährt und innerlich von seinem Verhalten distanziert hat.
Normenkette
ThürPersVG § 78 Abs. 4; KSchG § 1 Abs. 2
Verfahrensgang
ArbG Jena (Urteil vom 24.01.2003; Aktenzeichen 3 Ca 156/00) |
Nachgehend
Tenor
1) Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Jena vom 24.01.2003, Az.: 3 Ca 156/00, abgeändert.
- Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung des Beklagten vom 05.05.2000 nicht aufgelöst worden ist.
- Der Beklagte wird verurteilt, den Kläger als Lehrer zu unveränderten Arbeitsbedingungen weiterzubeschäftigen.
2) Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3) Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Parteien ist die Rechtswirksamkeit einer vom Beklagten ausgesprochenen ordentlichen Kündigung streitig.
Der am 01.06.1965 geborene, verheiratete und für ein Kind unterhaltsverpflichtete Kläger ist seit 01.09.1999 als Gymnasiallehrer für die Fächer Sport und Biologie beim Beklagten beschäftigt. Ein schriftlicher Anstellungsvertrag existiert nicht. Der Beklagte hat dem Kläger lediglich unter dem 17.08.1999 das Datum der Einstellung und den Einsatzort mitgeteilt.
Am 19.09.1999 wurde dem Kläger der Fragebogen über eine Tätigkeit für das Ministerium für Staatssicherheit übergeben. Der Kläger beantwortete unter dem gleichen Datum die Frage nach einer Zusammenarbeit wie folgt: „Stellung oder Funktion: Uffz. d. NVA – Ort und Land: Eggesin – Zeitraum: 08.85 – 08.87”. Die Frage, ob er von einem der Dienste zur Mitarbeit angesprochen worden sei, beantwortete der Kläger wie folgt: „1985 – Es erschien mir meine Pflicht, mit Behörden zusammenzuarbeiten. Über die Konsequenzen wurde ich mir erst später bewusst”.
Der Beklagte teilte dem Kläger mit Schreiben vom 22.12.1999 mit, dass aufgrund seiner Angaben im Fragebogen vor Abschluss des Arbeitsvertrages zunächst eine Anhörung durchzuführen sei. Diese Anhörung fand am 13.01.2000 statt.
Die Anhörungskommission empfahl die ordentliche Kündigung des Klägers während der Probezeit. Dieser Empfehlung schlossen sich der Staatssekretär im Kultusministerium und der Kultusminister am 14.01.2000 an. Mit Schreiben vom 26.01.2000, eingegangen am 02.02.2000, wurde der Personalrat über die Kündigungsabsicht unterrichtet. Der Personalrat beteiligte die Stufenvertretung. Der Erörterungstermin fand am 23.02.2000 statt. Mit Schreiben vom 01.03.2000 teilte der Personalrat mit, dass er seine Zustimmung zur Kündigung verweigert.
Mit Schreiben vom 15.03.2000 kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 30.04.2000.
Beim Beklagten ging am 10.03.2000 die am 04.01.2000 angeforderte Auskunft des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik ein. Daraus geht hervor, dass der Kläger – er hatte sich für drei Jahre zum Dienst in der NVA verpflichtet – vom 22.11.1985 bis 03.11.1987 Inoffizieller Mitarbeiter für Sicherheit (IMS) des Ministeriums für Staatssicherheit war. Er hatte eine handschriftliche Verpflichtungserklärung abgegeben und erhielt einen Decknamen. In den Unterlagen finden sich 50 Treffberichte der Führungsoffiziere, sechs Berichte der Führungsoffiziere nach mündlichen Informationen des IMS sowie 58 handschriftliche Berichte des IMS. Der Kläger berichtete über Armeeangehörige, indem er Persönlichkeitseinschätzungen, Auskunft über Charaktereigenschaften, familiäre Verhältnisse, den Umgangskreis, die Dienstdurchführung, die politische Einstellung, die Freizeitgestaltung, das Verhalten gegenüber Vorgesetzten bzw. Untergebenen und die Einstellung zum Dienst an der Waffe gab. Er informierte über Personen, die Westradio bzw. Westfernsehen empfingen, übermäßig dem Alkohol zusprachen oder Alkohol in die Kaserne mitbrachten und an andere Armeeangehörige weitergaben. Ab dem 27.05.1987 berichtete der Kläger fast ausschließlich über einen Armeeangehörigen, der in die Ausbildungsbatterie versetzt worden war. Dieser Armeeangehörige wollte eigentlich den Wehrdienst verweigern und zeigte deshalb eine negative und widerwillige Einstellung zum Dienst. Diese Person wurde verdächtigt, Fahnenflucht zu beabsichtigen. Deshalb erfolgte die Aufklärung und Bearbeitung dieser Person in der OPK „N.”. Die Erfassung des Klägers als IMS endete mit seiner Entlassung aus der NVA wegen Perspektivlosigkeit einer weiteren Tätigkeit nach dem Studienantritt des Klägers an der Universität J..
Nach Eingang der Auskunft des Bundesbeauftragten fand am 14.03.2000 eine weitere Anhörung des Klägers statt.
Der Beklagte beantragte nunmehr mit Schreiben vom 15.03.2000 beim Hauptpersonalrat die Zustimmung zur außerordentlichen un...