Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsübergang. anwendbares Tarifwerk. Bezugnahmeklausel. Gleichstellungsabrede. Altvertrag
Leitsatz (redaktionell)
1. Ein Zusammenschkluss auf Gewerkschaftsseite berührt die Identität der Tarifvertragsparteien nicht.
2. Der gesetzlich angeordnete Anwendungsvorrang der im Erwerberbetrieb geltenden Tarifregelungen setzt normative Geltung voraus.
3. Wird im Arbeitsvertrag normativ gebundener Arbeitnehmer zusätzlich auf die vor Betriebsübergang geltenden Tarifverträge verwiesen, gilt im Verhältnis Vertragsrecht (§ 613 a Abs. 1 S. 1 BGB) zum abgelösten Kollektivrecht (§ 613 a Abs. 1 S. 3 BGB) das Günstigkeitsprinzip.
Normenkette
BGB § 613a
Verfahrensgang
ArbG Erfurt (Urteil vom 02.07.2009; Aktenzeichen 7 Ca 554/09) |
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Erfurt vom 02.07.2009, 7 Ca 554/09, abgeändert.
Es wird festgestellt, dass auf das Arbeitsverhältnis der Parteien die Bestimmungen der Tarifverträge der Deutschen Telekom AG (Tarifstand 31.03.2006) Anwendung finden.
Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, welche Tarifverträge auf ihr Arbeitsverhältnis anzuwenden sind.
Am 15.12.1992 trat die Klägerin als vollbeschäftigte Angestellte in die Dienste der Deutschen Bundespost Telekom. Die Deutsche Bundespost Telekom war eine der drei öffentlichen Unternehmen, die im Zuge der Postreform I aus der Deutschen Bundespost hervorgegangen sind. Im Formulararbeitsvertrag vom 15.12.1992 (Bl. 6 d. A.) ist vereinbart:
…
Ziff. 2
Für das Arbeitsverhältnis gelten
- der „Tarifvertrag für die Angestellten der Deutschen Bundespost (TV Ang-O)” und die sonstigen Tarifverträge für die Angestellten der Deutschen Bundespost im Beitrittsgebiet oder
- der „Tarifvertrag für die Arbeiter der Deutschen Bundespost (TV Arb-O)” und die sonstigen Tarifverträge für die Arbeiter der Deutschen Bundespost im Beitrittsgebiet
in der jeweiligen Fassung als unmittelbar zwischen den Vertragsparteien vereinbart. Die Zuordnung zum Geltungsbereich des TV Ang-O oder dem des TV Arb-O ergibt sich in Anwendung des § 1 TV Ang-O bzw. des § 1 TV Arb-O aus der jeweils ausgeübten Tätigkeit.
…
Das Tarifwerk der Deutschen Bundespost Telekom war vereinbart mit der Deutschen Postgewerkschaft, die später in der Gewerkschaft ver.di aufgegangen ist. Die Klägerin ist kein Gewerkschaftsmitglied.
Mit der Postreform II wurde die Deutsche Bundespost Telekom zum 01.01.1995 privatisiert und in die Deutsche Telekom AG (künftig DTAG) umgewandelt. Nach § 21 Abs. 1 PostPersRG vom 14.04.1994 wurde der Eintritt in die bestehenden Arbeitsverhältnisse und die Fortgeltung der für die Deutsche Bundespost Telekom geltenden Tarifverträge bis zum Abschluss neuer Tarifverträge angeordnet.
Der zunächst fortgeltende TV Ang-O/TV Arb-O der Deutschen Bundespost Telekom wurde mit Tarifvertrag zur Umstellung auf ein neues Bewertungs- und Bezahlsystem (NBBS), abgeschlossen mit der Gewerkschaft ver.di., zum 01.07.2001 aufgehoben. Gleichzeitig trat der mit ver.di abgeschlossene Mantel- und Entgeltrahmentarifvertrag der DTAG in Kraft.
Die Klägerin hatte gegen die Anwendung der Tarifverträge der DTAG nichts einzuwenden. Nach § 11 Abs. 1 MTV in der Fassung vom 01.07.2001 betrug die regelmäßige Wochenarbeitszeit 38 Stunden. Nach § 38 Abs. 1 MTV verfallen beiderseitige Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis, wenn sie nicht innerhalb von sechs Monaten ab Fälligkeit geltend gemacht werden. Auf Grundlage des mit ver.di abgeschlossenen Tarifvertrages Beschäftigungsbündnis wurde die regelmäßige Arbeitszeit nach dem MTV mit Wirkung ab 01.03.2004 auf 34 Wochenstunden abgesenkt und ein Lohnausgleich für 35,5 Stunden vereinbart.
Zum 01.01.2004 hatte die DTAG die heutige V. Custumer Services GmbH (VCS), eine 100-%ige Tochtergesellschaft, gegründet, die u. a. das Call-Center-Geschäft betreiben sollte. Die VCS vereinbarte mit der Gewerkschaft ver.di einen am 01.03.2004 in Kraft getretenen Tarifvertrag zur Umsetzung des Beschäftigungsbündnisses (UTV, Bl. 124 bis 135 d. A.). Für Mitarbeiter, die im Rahmen eines Betriebsüberganges von der DTAG zur VCS wechseln, gelten danach die Tarifverträge der DTAG in modifizierter Form. Die Arbeitszeitverkürzung bei der DTAG ab 01.03.2004 wurde nicht übernommen. Es blieb bei 38 Wochenstunden. Die Vergütung wurde auf 91,25 % abgesenkt.
Die Klägerin arbeitete im E.er Kundencenter der DTAG, das betriebsorganisatorisch der Privatkundenniederlassung Mitte-Ost zugeordnet war. Zum 01.04.2006 veräußerte die DTAG das E.er Kundencenter an die VCS. Mit Schreiben der VCS vom 06.04.2006 wurde die Klägerin über den Betriebsübergang unterrichtet. Auf das Unterrichtungsschreiben wird Bezug genommen (Bl. 8 bis 13 d. A.). Die Klägerin widersprach nicht. Die VCS wendet auf die übergegangenen Arbeitsverhältnisse ihren UTV an. Die Wochenarbeitszeit wurde von 34 Stunden auf 38 Stunden angehoben und die dafür gezahlte Ve...