Entscheidungsstichwort (Thema)
Verdacht eines Fehlverhaltens als Kündigungsgrund (sog. "Verdachtskündigung"). Anhörung des Arbeitnehmers vor einer Verdachtskündigung. Fehlerhafte Anhörung bei Verschweigen eines wesentlichen Verdachtsmoments
Leitsatz (amtlich)
1. Eine Kündigung kann grundsätzlich auf den Verdacht eines Fehlverhaltens gestützt werden (sog. Verdachtskündigung).
2. Voraussetzung für die Wirksamkeit einer Verdachtskündigung ist die vorherige ordnungsgemäße Anhörung des*der Arbeitsnehmers*in, in welcher dem*der zu Kündigenden die Verdachtsmomente offen zu legen sind, damit er*sie diese ggf. entkräften kann.
3. Verschweigt ein*e Arbeitsgeber*in in der Anhörung ein wesentliches Verdachtsmoment ist diese nicht ordnungsgemäß und die Kündigung unwirksam.
Leitsatz (redaktionell)
Die Anhörung des Arbeitnehmers muss dergestalt sein, dass ihm sämtliche Verdachtsmomente auch offengelegt werden, damit er Gelegenheit hat, hierzu Stellung zu nehmen und den Verdacht zu entkräften. Der Arbeitnehmer muss die Möglichkeit haben, den gegen ihn gerichteten Verdacht aufzuklären.
Normenkette
KSchG § 1 Abs. 2
Verfahrensgang
ArbG Erfurt (Entscheidung vom 30.09.2021; Aktenzeichen 1 Ca 274/21) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Erfurt vom 30.9.2021 - 1 Ca 274/21 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer zum einen auf betriebsbedingte Gründe zum anderen auf den Verdacht von Drogenkonsum gestützten Kündigung.
Der Kläger war bei der Beklagten seit dem 17.07.2018 als Verpackungshelfer beschäftigt; zuletzt mit einer Arbeitszeit von 40 Stunden/Woche und einer monatlichen Vergütung von 2.200,00 € brutto.
Die Beklagte beschäftigte mehr als zehn Arbeitnehmer i. S. d. Kündigungsschutzgesetzes.
Unter dem 19.01.2021 traf sie die Entscheidung, eine Hilfsstelle als Verpacker/Produktionshelfer abzubauen. Die Aufgaben sollten auf andere Arbeitnehmer übertragen werden, welche aufgrund der Einschätzung der Beklagten seinerzeit auch weniger zu tun hatten und damit etwas Zeit zur Verfügung gehabt hätten.
Die Arbeit Verpacken von ca. 2 Stunden im Tag sollte die Produktion übernehmen. Das Kommissionieren von ca. einer Stunde am Tag der technische Betriebsleiter. Die Beistellung/Warenannahme ca. 2 Stunden am Tag der technische Betriebsleiter/bzw. Vormontage. Das Aufräumen und die allgemeine Ordnung ca. eine Stunde am Tag sollte an jedem Arbeitsplatz eigenverantwortlich vorgenommen werden. Die Zuarbeit Lagerbestellung ca. eine Stunde am Tag sollte ebenfalls der technische Betriebsleiter/Vormontage übernehmen. Wegen der Einzelheiten des Vortrages diesbezüglich wird auf die als Anlage B1 zu den Akten gereichte Bewertung vom 19.01.2021 (Bl. 47 d. A.) Bezug genommen.
Die Beklagte hegte den Verdacht, der Kläger könne Drogen konsumiert haben. Mit Schreiben vom 25.01.2021 forderte sie ihn wegen Verdachts auf Drogenkonsum unter Darstellung ihrer Verdachtsmomente auf, einem Drogentest zuzustimmen und diesen durchführen zu lassen und zu dem Verdacht Stellung zu nehmen. Den Umstand, dass sie gehört habe, der Kläger habe seine Fahrerlaubnis aufgrund Drogenkonsums verloren, erwähnte sie dabei nicht. Wegen der weiteren Einzelheiten dieses Schreibens wird auf die zu den Akten gereichte Kopie hiervon (Bl. 50 und 51 d. A.) Bezug genommen.
Der Kläger verweigerte den Drogentest. Mit Schreiben vom 22.01.2021 kündigte die Beklagte dem Kläger das Arbeitsverhältnis zum 28.02.2021 unter Berufung auf die betriebsbedingten Gründe. Mit Schreiben vom 10.02.2021 kündigte die Beklagte den Kläger zum 31.03.2021 unter Berufung auf den Verdacht des Drogenkonsums.
Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner am 12.02.2021 beim Arbeitsgericht eingegangenen und der Beklagten aufgrund der Verfügung vom 17.02.2021 ausweislich des Bekenntnisses der Prozessbevollmächtigten der Beklagten jedenfalls vor dem 24.02.2021 (Bl. 26 der Akte) zugestellten Klage.
Wegen des Weiteren unstreitigen und streitigen Vortrags im ersten Rechtszug wird, der dort vertretenen Ansichten und gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils (S. 2 bis 5 des Entscheidungsabdrucks - Bl. 91 - 94 der Akte) Bezug genommen.
Mit Urteil vom 30.09.2021 hat das Arbeitsgericht festgestellt, dass beide Kündigungen nicht sozial gerechtfertigt sind und das Arbeitsverhältnis nicht beendet haben.
Die Beklagte habe nicht dargelegt, in welcher Weise konkret die Arbeit des Klägers auf die übrigen Mitarbeiter verteilt werden solle ohne überobligatorische Leistungen dieser Mitarbeiter zu verlangen. Insofern hätte im Einzelnen vorgetragen werden müssen, welche Tätigkeiten des Klägers auf welche Mitarbeiter übertragen werden sollten und inwiefern diese Mitarbeiter zur zusätzlichen Übernahme dieser Aufgaben in der Lage gewesen seien.
Die vorgebrachten Verdachtsmomente seien keine hinreichend sichere Tatsachengrundlage für einen dringenden Tatverdacht.
Gegen dieses ihm am 03.12.2021 zugestellte Urteil hat die...