Entscheidungsstichwort (Thema)
Höhe der Rechtsanwaltsgebühr in einem Verfahren über die Bewilligung von Leistungen der Grundsicherung
Orientierungssatz
1. Die Höhe der Verfahrensgebühr der Nr. 3102 VV-RVG ist nach dem Umfang der anwaltlichen Tätigkeit zu bestimmen. Zu berücksichtigen ist dabei der zeitliche Aufwand, den der Rechtsanwalt tatsächlich in der Sache betrieben hat und objektiv verwenden musste. Wurden lediglich zwei kurze Schriftsätze vom Anwalt eingereicht und das Anerkenntnis des Beklagten zur Erledigung des Rechtsstreits angenommen, so ist die Verfahrensgebühr in Höhe der halben Mittelgebühr festzusetzen.
2. In einem solchen Fall ist die fiktive Terminsgebühr der Nr. 3106 VV-RVG nach S. 2 der Anmerkung zu Nr. 3106 VV-RVG in Höhe von 90 % der Verfahrensgebühr festzusetzen.
Tenor
Auf die Beschwerde wird der Beschluss des Sozialgerichts Gotha vom 23. März 2015 aufgehoben und die aus der Staatskasse für das Verfahren S 23 AS 5108/13 zu gewährende Vergütung auf 362, 95 Euro festgesetzt. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Eine Beschwerde an das Bundessozialgericht findet nicht statt.
Gründe
I.
Zwischen den Beteiligten ist die Höhe der Rechtsanwaltsgebühren für ein Klageverfahren vor dem Sozialgericht Gotha (SG) streitig (S 23 AS 5108/13). Dort hatte der von den Beschwerdeführern vertretene Kläger von dem beklagten Jobcenter mit Schriftsatz vom 18. Oktober 2013 zusätzliche Leistungen in Höhe von 20,25 Euro wegen höherer Heizkosten nach dem Heizkostenspiegel 2013 statt des angewandten Heizkostenspiegels 2012 für drei Monate begehrt. Unter dem 9. Januar 2014 teilte die Beklagte mit, sie sei zwecks Streitbeilegung zur Anerkennung der Klageforderung bereit. Eine Kostenanerkennung komme nicht in Betracht, weil ihr die neuen Werte erst nach Erlass des Widerspruchsbescheids bekannt wurden. Daraufhin antworteten die Beschwerdeführer, es sei beabsichtigt, das Anerkenntnis anzunehmen; vorab werde um Entscheidung über die Prozesskostenhilfe (PKH) gebeten. Mit Beschluss vom 10. Februar 2014 bewilligte das Sozialgericht dem Kläger PKH und ordnete die Beschwerdeführer bei. Mit Schriftsatz vom 21. Februar 2014 nahmen diese für den Kläger das Anerkenntnis an und erklärten den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt. Mit Beschluss vom 29. April 2014 verpflichtete das Sozialgericht die Beklagte, die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten.
Am 11. März 2014 machten die Beschwerdeführer für das Verfahren Gebühren in Höhe von 714,00 Euro geltend:
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Verfahrensgebühr Nr. 3102 VV-RVG |
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300,00 Euro |
Terminsgebühr Nr. 3106 VV-RVG |
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280,00 Euro |
Post- und Telekommunikation Nr. 7002 VV-RVG |
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20,00 Euro |
Zwischensumme |
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600,00 Euro |
Mehrwertsteuer Nr. 7008 VV-RVG |
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114,00 Euro |
Gesamtbetrag |
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714,00 Euro |
Mit Beschluss vom 10. Juni 2014 setzte die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle (UdG) die Rechtsanwaltsgebühren auf 253,86 Euro fest. Angemessen sei angesichts einer leicht unterdurchschnittlichen Bedeutung der Angelegenheit und einem deutlich unterdurchschnittlichen Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit und unterdurchschnittlichen Einkommens- und Vermögensverhältnissen die auf ein Drittel reduzierte Mittelgebühr (100,00 Euro). Die fiktive Terminsgebühr sei ebenfalls auf ein Drittel der Mittelgebühr zu reduzieren.
Mit ihrer Erinnerung haben die Beschwerdeführer vorgetragen, die Erarbeitung des Sachverhalts sei mit einem hohen Arbeitsaufwand verbunden gewesen. Die Besprechung mit dem Kläger habe 45 bis 60 Minuten gedauert und der Anspruch habe genau berechnet werden müssen. Der Beschwerdegegner hat sich der Berechnung der UdG angeschlossen.
Mit Beschluss vom 23. März 2015 hat das SG die Erinnerung zurückgewiesen. Angesichts einer unterdurchschnittlichen rechtlichen und tatsächlichen Schwierigkeit, einer allenfalls noch durchschnittlichen Bedeutung der Angelegenheit für den Kläger sei die Verfahrensgebühr allenfalls in Höhe eines Viertels der Mittelgebühr und eine Terminsgebühr in Höhe eines Fünftels der Mittelgebühr gerechtfertigt. Einer Reduzierung der Gebühren auf 179,69 Euro stehe allerdings das Verschlechterungsverbot entgegen.
Gegen den am 22. April 2015 zugestellten Beschluss haben die Beschwerdeführer am 29. April 2015 Beschwerde eingelegt und vorgetragen, die beantragten Mittelgebühren seien gerechtfertigt. Der Beschwerdegegner ist dem entgegengetreten und hat zur Begründung auf den Beschluss der Vorinstanz verwiesen. Die fiktive Terminsgebühr betrage allerdings nach Satz 2 der Anmerkung zu Nr. 3106 VV-RVG 90 v.H. der Verfahrensgebühr.
Das Sozialgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen (Verfügung vom 17. Juni 2015) und sie dem Thüringer Landessozialgericht vorgelegt.
II.
Zuständig für die Entscheidung ist nach den aktuellen Geschäftsverteilungsplänen des Thüringer Landessozialgerichts und des 6. Senats der Senatsvorsitzende.
Anzuwenden ist das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) in der Fassung ab 1. August 2013 (n.F.), denn Auftragserteilung und Beiordnung sind nach diesem Zeitpunkt erfolgt (§ 60 Abs. 1 S. 1 RVG)...