Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Zeugenentschädigung. Abgrenzung zur Tätigkeit eines sachverständigen Zeugen. Anwendbarkeit der Gebührenordnung für Ärzte

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Tätigkeit eines sachverständigen Zeugen ist dadurch gekennzeichnet, dass er regelmäßig neben der reinen Tatsachenmitteilung auch sachverständige Schlussfolgerungen ziehen muss (vgl BSG vom 26.11.1991 - 9a RV 25/90; LSG Erfurt vom 26.9.2013 - L 6 SF 1107/13).

2. Die GOÄ findet nur in den im JVEG ausdrücklich normierten Fällen Anwendung.

 

Tenor

Auf die Beschwerde wird der Beschluss des Sozialgerichts Nordhausen vom 15. Januar 2015 aufgehoben und die Entschädigung der Beschwerdegegnerin für ihre Auskunft vom 7. November 2013 auf 5,09 Euro festgesetzt. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Eine Beschwerde an das Bundessozialgericht findet nicht statt.

 

Gründe

I.

Im Verfahren S 6 KR 6672/11 vor dem SG Nordhausen (SG) begehrte die Klägerin die Übernahme der Kosten einer stationären Anschlussrehabilitation. Mit Verfügung vom 24. Oktober 2013 richtete die Vorsitzende der 6. Kammer an 173 niedergelassene Psychotherapeuten aus dem Raum E. und N. folgende Anfrage: “Hätten Sie ab Oktober 2009 eine blinde Patientin mit den Diagnosen Depression und Somatisierungsstörung in Ihre ambulante Betreuung aufnehmen können? Wie lange wäre ggf. die Wartezeit bis zum Beginn der Behandlungen gewesen, wenn Sie die Patientin noch im Oktober 2009 auf Ihre Warteliste gesetzt hätten?„. In ihrer Antwort vom 7. November 2013 schilderte die Beschwerdegegnerin die Verfahrensweise bei der Aufnahme neuer Klienten und teilte mit, sie könne heute nicht mehr zurückverfolgen, ob sie zum relevanten Zeitpunkt eine Patientin neu hätte aufnehmen können. Ggf. hätte diese mit einer Wartezeit von einem 3/4 Jahr rechnen müssen. Mit Schreiben vom gleichen Tag beantragte sie eine Entschädigung in Höhe von 27,60 Euro nach Ziffer 75 der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ). Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle (UdG) teilte ihr unter dem 21. Januar 2014 mit, der Kostenersatz richte sich nach § 10 des Justizvergütungs- und Entschädigungsgesetzes (JVEG) und die Gesamtentschädigung errechne sich auf 2,91 Euro. Am 27. Januar 2014 hat die Beschwerdegegnerin ausgeführt, sie habe eine ausführliche Zuarbeit geleistet und erwarte eine finanzielle Entsprechung für ihren Zeitaufwand von mindestens einer ¾ Stunde in Höhe von mindestens 26,03 Euro (GOÄ-Ziffern 80, 95, 96 ≪für 2 Kopien≫; Porto für zwei Briefe).

Nach Anhörung des Beschwerdeführers hat das SG mit Beschluss vom 15. Januar 2015 “die Vergütung für die schriftliche Äußerung der sachverständigen Zeugin„ auf 21,58 Euro festgesetzt und die Beschwerde wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen. Die Beschwerdegegnerin sei zweifelsfrei als sachverständige Zeugin vom SG beauftragt worden und nach Nr. 200 der Anlage 2 zu § 10 Abs. 1 JVEG mit 21,00 Euro zu entschädigen. Es handle sich bei der Beantwortung der Fragen zweifelsohne um eine schriftliche Auskunft ohne nähere gutachterliche Äußerung. Nicht in Betracht komme eine Kostenerstattung für Portokosten im Rahmen des Festsetzungsverfahrens.

Gegen den Beschluss hat der Beschwerdeführer Beschwerde eingelegt und ausgeführt, die bei Nr. 200 der Anlage 2 zu § 10 Abs. 1 JVEG erfasste Tätigkeit gehe in Umfang und Aufwand über die in der ärztlichen Praxis übliche Tätigkeit für Erstellung von Befund- und Krankheitsberichten hinaus und erfasse eine ins Einzelne gehende Darstellung der Krankheitsgeschichte mit detaillierten Angaben zu den erhobenen Befunden. Sie sei hier nicht ausgeübt worden. Die Beschwerdegegnerin sei wie eine Zeugin nach § 19 Abs. 1 JVEG nach dem Zeitaufwand zu entschädigen. Nachdem ein Verdienstausfall nicht eingetreten sei und die Beschwerdegegnerin für die Beantwortung der Fragen nicht mehr als 30 Minuten benötigt haben dürfte, belaufe sich deren Anspruch auf 3,50 Euro sowie 0,59 Euro Portoauslagen, insgesamt 4,09 Euro.

Die Beschwerdegegnerin hat sich zur Sache nicht geäußert.

Das SG hat der Beschwerde nicht abgeholfen (Verfügung vom 25. Februar 2015) und sie dem Thüringer Landessozialgericht vorgelegt. Der Senatsvorsitzende hat das Verfahren mit Beschluss vom 12. März 2015 dem Senat übertragen.

II.

Zuständig für die Entscheidung ist nach der Geschäftsverteilung des Thüringer Landessozialgerichts der erkennende Senat. Er ist u.a. für alle Erinnerungs- und Beschwerdeverfahren nach dem JVEG zuständig.

Die Beschwerde ist zulässig und überwiegend begründet. Die Beschwerdegegnerin hat lediglich Anspruch auf Zeugenentschädigung in Höhe von 5,09 Euro.

Der von der Vorinstanz angenommene Anspruch aus Nr. 200 der Anlage 2 zu § 10 Abs. 1 JVEG kommt nicht in Betracht, weil nach § 10 Abs. 1 JVEG in Anlage 2 nur die Honorierung von Leistungen eines Sachverständigen oder eines sachverständigen Zeugen geregelt ist. Die Beschwerdegegnerin wurde aber entgegen der Ansicht der Vorinstanz nicht als sachverständige Zeugin, sondern als Zeugin herangezogen.

Zeuge ist eine am Verfahren ni...

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