Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. häusliche Krankenpflege. Krankenbeobachtung während des Schulbesuches bei Diabetes mellitus Typ I. Notwendigkeit der jederzeitigen Interventionsmöglichkeit. kein Ausschluss medizinisch notwendiger Maßnahmen von der häuslichen Krankenpflege durch den Gemeinsamen Bundesausschuss
Orientierungssatz
1. Ein an Diabetes mellitus Typ I leidendes Kind hat einen Sachleistungsanspruch auf die Gewährung häuslicher Krankenpflege in Form der Krankenbeobachtung während des Schulbesuches. Maßgebend ist dabei, dass die ständige Beobachtung der gesundheitlichen Situation durch eine medizinische Fachkraft wegen der Gefahr von ggf lebensgefährdenden Komplikationen und die hierdurch erforderliche Möglichkeit der jederzeitigen Intervention erfolgen muss.
2. Ebenso wenig wie der Gemeinsame Bundesausschuss ermächtigt ist, den Begriff der Krankheit in § 27 Abs 1 SGB 5 hinsichtlich seines Inhalts und seiner Grenzen zu bestimmen, ist er befugt, medizinisch notwendige Maßnahmen von der häuslichen Krankenpflege auszunehmen. Die HKP-Richtlinien (juris: HKPRL) binden die Gerichte insoweit nicht (vgl BSG vom 10.11.2005 - B 3 KR 38/04 R = SozR 4-2500 § 37 Nr 6).
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Gotha vom 12. November 2015 aufgehoben und der Antragsgegner zu 1. im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin einstweilen bis zum Ablauf des aktuellen Verordnungszeitraumes am 30. Juni 2017, längstens jedoch bis zum Eintritt der Rechtskraft einer Hauptsacheentscheidung, häusliche Krankenpflege an Schultagen im Umfang von 8 Stunden täglich während ihres Aufenthalts in der Schule in Form kontinuierlicher Beobachtung und Intervention beim Blutzuckerverlauf und zur Vermeidung sowie zur Behandlung von Hypoglykämien durch subkutane Insulingaben mittels Insulinpumpe als Sachleistung zu gewähren. Die Verpflichtung kann auch dadurch erfüllt werden, dass in der Schulklasse der Antragstellerin eine gemeinsame, medizinisch geschulte Fachkraft für alle an Diabetes mellitus erkrankten Mitschüler anwesend ist.
Der Antragsgegner zu 1. trägt die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin.
Der Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden.
Gründe
I.
Die Antragstellerin begehrt im Wege des gerichtlichen Eilverfahrens von den Antragsgegnern, ihr einstweilig im Wege der Sachleistung einen Schulbegleiter zur Verfügung zu stellen.
Die am … geborene Antragstellerin ist bei der Antragsgegnerin zu 1. krankenversichert. Sie leidet an Diabetes mellitus Typ I und besucht seit dem 1. September 2014 die K.-Schule in J. Seit August 2016 besucht sie dort die dritte Klasse. Die Kinderärztin Dr. W. verordnete ihr zuletzt für den Zeitraum 11. August 2016 bis 30. Juni 2017 unter anderem häusliche Krankenpflege in Form von 8 Stunden in der Schule als kontinuierliche Beobachtung und Intervention zum Blutzuckerverlauf und zur Vermeidung sowie zur Behandlung von Hypoglykämien durch subkutane Insulingaben mittels Insulinpumpe.
Unter Vorlage der entsprechenden Folgeverordnung vom 3. Juni 2015 beantragte die Antragstellerin bei der Antragsgegnerin zu 1. unter dem 5. Juni 2015 u.a. die Gewährung einer Schulbegleitung. Die Antragsgegnerin zu 1. beauftragte daraufhin den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Thüringen e.V. (MDK) mit der Erstellung eines sozialmedizinischen Gutachtens nach Aktenlage. Dieser kam im Gutachten vom 9. Juli 2015 unter Verweis auf ein Vorgutachten vom 26. September 2014 zum Ergebnis, dass beim der Antragstellerin die Notwendigkeit einer speziellen Krankenbeobachtung gemäß Ziffer 24 der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesauschusses über die Verordnung von häuslicher Krankenpflege (Häusliche Krankenpflege-Richtlinie - HKP-RL) zur Abwendung eines vital bedrohlichen Ereignisses nicht bestehe. Begründet sei neben den Maßnahmen der Behandlungspflege eine verstärkte allgemeine Beaufsichtigung, die jedoch in der HKP-RL nicht definiert sei und durch umfassend geschulte Laien erfolgen könne. Lebensbedrohliche Ereignisse würden nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit mehrfach täglich eintreten. Nach Vorlage weiterer Unterlagen (u.a. Nachweise über Blutzuckermessungen, Insulingaben und Mahlzeitenbewertungen im Juni 2015) führte der MDK in seiner Stellungnahme vom 30. Juli 2015 ergänzend aus, die erforderlichen Insulingaben könnten von einem Laien erbracht werden, sofern dieser umfassen geschult sei. Derzeit erbringe die Integrationshelferin diese Leistungen. Eine Intensivpflegebedürftigkeit im Sinne der HKP-RL könne nach wie vor nicht bestätigt werden.
Auf eine entsprechende Anfrage teilte der Antragsgegner zu 2., der eine Schulbegleitung im vorausgegangenen Schuljahr 2014/2015 finanziert hatte, der Antragsgegnerin zu 1. mit Schreiben vorn 20. August 2015 mit, dass aus seiner Sicht die Zuständigkeit der Krankenkasse zur Gewährung der Schulbegleitung gegeben sei.
Mit Bescheid vom 20. August 2015 lehnte die Antragsgegnerin z...