Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Rechtsanwaltsvergütung. Kostenfestsetzungsverfahren. Erinnerungsrecht der Staatskasse. Voraussetzungen für eine Verwirkung. Vorliegen "derselben Angelegenheit" iS von § 15 Abs 2 S 1 RVG. einheitlicher Rahmen der anwaltlichen Tätigkeit. Verpflichtung zur kostensparenden Prozessführung. Verstoß bei willkürlicher Aufspaltung eines einheitlichen Lebenssachverhaltes
Orientierungssatz
1. Zu den Voraussetzungen der Verwirkung des Erinnerungsrechts der Staatskasse nach § 56 Abs 1 S 1 RVG.
2. Zum Vorliegen "derselben Angelegenheit" iS von § 15 Abs 2 S 1 RVG.
3. Im Kostenrecht ist jeder Verfahrensbeteiligte verpflichtet, die Kosten der Prozessführung, die er im Falle des Obsiegens vom Gegner bzw im Prozesskostenhilfeverfahren von der Staatskasse erstattet haben will, so niedrig zu halten, wie sich dies unter Wahrung seiner berechtigten Belange vereinbaren lässt (vgl LSG Erfurt vom 6.1.2015 - L 6 SF 1221/14 B). Von einem Verstoß gegen diesen Grundsatz kann aber nur die Rede sein, wenn Mehrkosten durch eine willkürliche Aufspaltung eines einheitlichen Lebenssachverhaltes in mehrere Prozessmandate entstehen, wenn also zum Beispiel ein Prozessbevollmächtigter weitgehend identische Lebenssachverhalte ohne sachlichen Grund in getrennten Prozessen zum Gegenstand macht.
Tenor
Auf die Beschwerde wird der Beschluss des Sozialgerichts Altenburg vom 19. September 2017 aufgehoben und die aus der Staatskasse zu gewährende Vergütung für das Verfahren S 38 AS 4229/13 auf 291,55 Euro festgesetzt. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen. Die Anschlussbeschwerde des Beschwerdegegners wird zurückgewiesen.
Eine Beschwerde an das Bundessozialgericht findet nicht statt.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten über die Höhe der aus der Staatskasse zu erstattenden Rechtsanwaltsvergütung für neun beim Sozialgericht Altenburg anhängig gewesene Verfahren der von der Beschwerdeführerin vertretenen Klägerin:
- Mit Bescheid vom 25. März 2011 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 1. August 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. August 2011 lehnte das beklagte Jobcenter die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für die Zeiträume vom 10. Januar 2011, 29. - 31. Januar 2011, 12. - 13. Februar 2011, 12. - 13. März 2011 und vom 26. - 27. März 2011 ab, an denen sie nicht in Bedarfsgemeinschaft mit ihrer Mutter, sondern in einer sogenannten temporären Bedarfsgemeinschaft mit ihrem Vater lebte. Dagegen erhob die Klägerin am 5. September 2011, vertreten durch die Beschwerdeführerin, Klage vor dem Sozialgericht Rostock. Mit der Klage wurden auch Ansprüche des Vaters der Klägerin hinsichtlich der Kosten für den Umgang geltend gemacht. Mit Beschluss vom 8. November 2013 verwies das Sozialgericht Rostock den Rechtsstreit hinsichtlich der Klägerin an das örtlich zuständige Sozialgericht Altenburg (S 38 AS 4232/13).
- Mit Bescheid vom 15. Dezember 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. März 2012 lehnte das beklagte Jobcenter die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für die Tage vom 22. - 24. April 2011 ab, an denen sie nicht in Bedarfsgemeinschaft mit ihrer Mutter, sondern in einer sogenannten temporären Bedarfsgemeinschaft mit ihrem Vater lebte. Dagegen erhob die Klägerin am 23. April 2012, vertreten durch die Beschwerdeführerin, Klage vor dem Sozialgericht Altenburg (S 38 AS 1371/12).
- Mit Bescheiden vom 19. Juni, 11. Juli und 7. August 2012 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 10. September 2012 lehnte das beklagte Jobcenter die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für die Zeiträume vom 25. - 27. Mai 2012, 9. - 10. Juni 2012, 23. - 26. Juni 2012 und vom 14. - 15. Juli 2012 ab, an denen sie nicht in Bedarfsgemeinschaft mit ihrer Mutter, sondern in einer sogenannten temporären Bedarfsgemeinschaft mit ihrem Vater lebte. Dagegen erhob die Klägerin am 10. Oktober 2012, vertreten durch die Beschwerdeführerin, Klage vor dem Sozialgericht Rostock. Mit der Klage wurden auch Ansprüche des Vaters der Klägerin hinsichtlich der Kosten für den Umgang geltend gemacht. Mit Beschluss vom 20. November 2013 verwies das Sozialgericht Rostock den Rechtsstreit hinsichtlich der Klägerin an das örtlich zuständige Sozialgericht Altenburg (S 38 AS 4226/13).
- Mit Bescheiden vom 1. Oktober 2012, 10. Dezember 2012, 27. Dezember 2012 und 7. Januar 2013 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 15. Januar 2013 und 16. Januar 2013 lehnte das beklagte Jobcenter die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für die Zeiträume vom 2. - 4. August 2012, 15. - 16. September 2012, 17. - 18. November 2012 und 8. - 9. Dezember 2012 ab, an denen sie nicht in Bedarfsgemeinschaft mit ihrer Mutter, sondern in einer sogenannten temporären Bedarfsgemeinschaft mit ihrem Vater lebte. Dagegen erhob die Klägerin am 15. Februar 2013, vertreten durch die Beschwerdeführ...