Entscheidungsstichwort (Thema)
Prozesskostenhilfe. hinreichende Erfolgsaussicht der Klage. Asylbewerberleistungsrecht. Analogleistung. rechtsmissbräuchliche Beeinflussung der Aufenthaltsdauer. generell-abstrakte Betrachtungsweise. Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen
Orientierungssatz
1. Der Entscheidungsspielraum bei der Auslegung des Tatbestandmerkmals der hinreichenden Erfolgsaussicht wird überschritten, wenn unter Verkennung der Bedeutung der in Art 3 Abs 1 iVm Art 20 Abs 3 GG verbürgten Rechtsschutzgleichheit die Anforderungen an die Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung überspannt werden und dadurch der Zweck der Prozesskostenhilfe nach § 73a Abs 1 S 1 SGG iVm § 114 ZPO, dem Unbemittelten den weitgehend gleichen Zugang zu Gericht zu ermöglichen, deutlich verfehlt wird (vgl BVerfG vom 13.3.1990 - 2 BvR 94/88 = BVerfGE 81, 347).
2. Eine rechtsmissbräuchliche Beeinflussung der Aufenthaltsdauer iS des § 2 Abs 1 AsylbLG liegt nicht schon in der zur Aufenthaltsverlängerung führenden Nutzung der Rechtsposition, die der Ausländer durch vorübergehende Aussetzung der Abschiebung erlangt hat, wenn es ihm möglich und zumutbar wäre, auszureisen (Abgrenzung zu BSG vom 8.2.2007 - B 9b AY 1/06 R = BSGE 98, 116 = SozR 4-3520 § 2 Nr 1).
3. In objektiver Hinsicht setzt der Rechtsmissbrauch ein unredliches, von der Rechtsordnung missbilligtes Verhalten voraus. Nur ein Verhalten, das unter jeweiliger Berücksichtigung des Einzelfalls, der besonderen Situation eines Ausländers in der Bundesrepublik Deutschland und der besonderen Eigenheiten des AsylbLG unentschuldbar ist (Sozialwidrigkeit), führt zum Ausschluss von Analog-Leistungen. Nur dann ist es gerechtfertigt, auch die minderjährigen Kinder mit den Folgen dieses Verhaltens zu belasten (vgl BSG vom 17.6.2008 - B 8/9b AY 1/07 R). Ein Rechtsmissbrauch kann ferner nur vorliegen, wenn der Ausländer sich hierüber auch bewusst ist. Ein bloß fahrlässiges Verhalten genügt für die Annahme eines Rechtsmissbrauchs nicht.
4. Soweit das Tatbestandsmerkmal "Beeinflussung der Dauer des Aufenthalts" betroffen ist, ist auf den gesamten Zeitraum des Leistungsberechtigten in der Bundesrepublik Deutschland abzustellen. Auch ein Verhalten vor der Einreise in das Bundesgebiet, das der Beeinflussung der (gesamten Dauer) des Aufenthalts dient kann sich als rechtsmissbräuchlich erweisen. Ist der Rechtsmissbrauch zeitlich vor der Einreise anzusiedeln, wirkt er sich ab Einreise der Asylbewerber aus (vgl BSG vom 17.6.2008 - B 8/9b AY 1/07 R).
5. Zwischen dem Verhalten des Ausländers und der Beeinflussung der Dauer des Aufenthaltes bedarf es nach dem Gesetzeswortlaut einer kausalen Verknüpfung. Eine Beeinflussung der Aufenthaltsdauer liegt schon dann vor, wenn bei generell-abstrakter Betrachtungsweise das rechtsmissbräuchliche Verhalten typischerweise die Aufenthaltsdauer verlängern kann (vgl BSG vom 17.6.2008 - B 8/9b AY 1/07 R).
6. Eine Ausnahme von der typisierenden Betrachtungsweise muss dann gemacht werden, wenn eine etwaige Ausreisepflicht des betroffenen Ausländers unabhängig von seinem Verhalten ohnehin in dem gesamten Zeitraum ab dem Zeitpunkt des Rechtsmissbrauchs nicht hätte vollzogen werden können, weil zB die Erlasslage des zuständigen Innenministeriums eine Abschiebung ohnehin nicht zugelassen hätte. Lässt es sich nicht feststellen, ob eine solche Ausnahme vorliegt, geht dies zu Lasten des Ausländers (vgl BSG vom 17.6.2008 - B 8/9b AY 1/07 R).
7. Die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen nach § 23 AufenthG 2004 entbindet die Behörde nicht von der Prüfung der Tatbestandsvoraussetzung des § 2 AsylbLG.
Tenor
Auf die Beschwerde wird der Beschluss des Sozialgerichts Meiningen vom 11. Januar 2007 aufgehoben. Den Beschwerdeführern wird für die Durchführung des Verfahrens vor dem Sozialgericht Meiningen Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt W., G., zu den Bedingungen eines im Bezirk des Sozialgerichts Meiningen ansässigen Rechtsanwalts gewährt.
Gründe
I.
Die Beschwerdeführer wenden sich gegen die Entscheidung des Sozialgerichts, mit der ihnen Prozesskostenhilfe für ein erstinstanzliches Klageverfahren auf Gewährung von Leistungen nach § 2 des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG) mangels hinreichender Erfolgsaussichten versagt worden ist.
Die Beschwerdeführer zu 1) und 2) reisten 1995 aus Serbien/Montenegro kommend in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellten hierzulande Asylanträge, die rechtskräftig abgelehnt wurden. Sie erhielten - ebenso wie die 1996 geborene Beschwerdeführerin zu 3), die 1998 geborene Beschwerdeführerin zu 4), der 2000 geborene Beschwerdeführer zu 5) und der 2003 geborene Beschwerdeführer zu 6) - Leistungen nach § 3 AsylbLG. Für sich und ihre Kinder stellten sie sodann Asylfolge- bzw. Asylanträge. Für die Zeit der ihnen daraufhin erteilten ausländerrechtlichen Duldungen erhielten sie weiterhin Leistungen nach § 3 AsylbLG (u. a. Bescheid des Beschwerdegegners vom 24. Januar 2005).
Mit am 1. Dezember 2005 eingegangen...