Entscheidungsstichwort (Thema)

Arzneimittel für eine besondere Hautkrankheit

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die entzündliche Hauterkrankung Necrobiosis lipoidica ist nicht „medizinisch nicht erforschbar“ im Sinne eines sog Seltenheitsfalls nach der BSG-Rechtsprechung.

2. Zum daher fehlenden Anspruch auf Versorgung mit dem Medikament Xeljanz (Wirkstoff Tofacitinib).

 

Orientierungssatz

Bei Necrobiosis lipoidica handelt es sich auch nicht um eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche oder zumindest wertungsmäßig vergleichbare Erkrankung, so dass auch ein Anspruch nach § 2 Abs 1a SGB 5 nicht besteht.

 

Normenkette

SGB V § 2 Abs. 1 S. 3, Abs. 1a, § 13 Abs. 3 S. 1, § 27 Abs. 1 Sätze 1, 2 Nr. 3, § 31 Abs. 1 S. 1, § 35c

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 14.07.2023; Aktenzeichen B 1 KR 10/23 B)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Meiningen vom 11. Juni 2021 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Kostenübernahme für eine Therapie mit Xeljanz® (Wirkstoff: Tofacitinib).

Die 1989 geborene Klägerin leidet seit mehr als 10 Jahren an einer Necrobiosis lipoidica, einer entzündlichen Hauterkrankung, sowie an einem Diabetes mellitus Typ II. Seit 2017 bestehen zusätzlich großflächige Ulzerationen an beiden Unterschenkeln. Es erfolgten seit 2014 mehrfach stationäre Aufenthalte in der Hautklinik des Universitätsklinikums E1 bei Befundverschlechterungen und auch Wundinfektionen. Unter Systemtherapie mit Dapson zeigte sich zunächst eine Befundverbesserung und Wundgrößenreduktion bis auf mehrere Ulzerationen am rechten Unterschenkel von wenigen Quadratzentimetern Fläche sowie einer größenprogredienten, stark fibrinbelegten Ulzeration von etwa handtellergroßer Fläche am linken Unterschenkel. Trotz unterschiedlichster lokaler Wundversorgungen zeigte sich diese Wunde weiter größenprogredient. Zudem litt die Klägerin an ausgeprägten Schmerzen bis zu einem Wert von 8/10 auf der visuellen Schmerzskala. Es bestanden deutliche Einschränkungen der Lebensqualität. Im März 2019 traten neue Herde disseminiert an beiden Fußrücken auf.

Am 4. September 2019 beantragten S1 sowie C1 E2-B1, Ärzte der Hautklinik am Universitätsklinikum E1 bei der Beklagten die Kostenübernahme für einen Therapieversuch mit dem Wirkstoff Tofacitinib. Dieser ist in dem Präparat Xeljanz® enthalten, das zur Behandlung von u.a. mittelschwerer bis schwerer aktiver rheumatoider Arthritis zugelassen ist. Aufgrund der Schwere des Krankheitsverlaufes und der frustranen Therapie hätten sie sich für eine Initiierung eines Therapieversuches mit Januskinase-Inhibitoren entschieden. Über eine Bemusterung habe eine Therapie mit Tofacitinib begonnen werden können. Nach mehrwöchiger Einnahme habe sich aktuell eine zunehmende Besserung des Befundes gezeigt (Wundfläche komplett granulierend mit deutlicher Wundflächenreduktion, Schmerzfreiheit unter vollständigem Verzicht auf Schmerzmitteleinnahme, Zunahme der Lebensqualität). Die Ärzte schätzten ein, dass mit einer vollständigen Abheilung der Wunde aus medizinischer Sicht innerhalb von 3 Monaten zu rechnen sei. Zugelassene Therapiealternativen existierten nicht. Sie beantragten daher für die Klägerin die spezifische Kostenübernahme für eine Medikation mit Tofacitinib 10 mg/Tag über mindestens 3 Monate.

Am 13. September 2019 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass sie zur Beurteilung der Kostenübernahme der Therapie mit dem Wirkstoff Tofacitinib den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) mit der Erstellung eines sozialmedizinischen Gutachtens beauftragt habe. Eine Information erhalte die Klägerin bis spätestens 9. Oktober 2019. Gleichzeitig beauftragte sie den MDK mit einer Begutachtung. M1 kam in seiner sozialmedizinischen Stellungnahme vom 25. September 2019 zu dem Ergebnis, dass bezüglich alternativer Behandlungsmöglichkeiten auf Kompressionsbehandlungen, Hautpflege sowie systemische und lokale Glukokortikoide zu verweisen sei. Die medizinischen Voraussetzungen für eine Leistungsgewährung seien nicht erfüllt. Die Voraussetzungen für einen Off-Label-Use nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) lägen nicht vor. Wirksamkeit und Unbedenklichkeit der Behandlung einer Necrobiosis lipoidica mit Tofacitinib seien bisher wissenschaftlich nicht hinreichend untersucht, klinische Studien der Phase III nicht veröffentlicht worden. Es sei nicht zu erwarten, dass Tofacitinib aufgrund der vorliegenden Forschungsergebnisse zur Behandlung bei Necrobiosis lipoidica zugelassen werden könne.

Mit Bescheid vom 27. September 2019 lehnte die Beklagte den Antrag im Hinblick auf das Ergebnis der Begutachtung durch den MDK ab. Gegen diesen Bescheid legten die Ärzte S1 und E2-B1 im Namen der Klägerin am 25. Oktober 2019 Widerspruch ein. Zur Begründung führten sie im Wesentlichen aus, dass zur Behandlung der Necrobiosis lipoidica mit JAK-Inhibitoren bislang nur ein Fallbericht in...

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