Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Statthaftigkeit der Berufung. Berufungsbeschränkung. Untätigkeitsklage. Klagegegenstand. Überprüfungsbescheid. mehrere Überprüfungsanträge bezüglich der Höhe der bewilligten SGB 2-Leistungen. Ausnahmeregelung des § 144 Abs 1 S 2 SGG. Umfang einer Vollmacht im Verwaltungsverfahren
Leitsatz (amtlich)
1. § 144 Abs 1 S 1 SGG gilt auch im Hinblick auf Untätigkeitsklagen.
2. Ein Überprüfungsbescheid nach § 44 SGB 10 kann ein auf eine Leistung im Sinne von § 144 Abs 1 Nr 1 SGG gerichteter Verwaltungsakt sein.
3. § 144 Abs 1 S 2 SGG gilt auch für Klagen, die Überprüfungsanträge für einen Zeitraum von mehr als einem Jahr zum Gegenstand haben (entgegen LSG Neubrandenburg vom 5.12.2011 - L 8 B 430/10 NZB).
4. Zum Umfang einer Vollmacht im Verwaltungsverfahren nach dem SGB 2.
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Gotha vom 24. Juni 2010 aufgehoben. Der Beklagte wird verpflichtet, über die Überprüfungsanträge des Klägers vom 7. April 2009 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden.
Der Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Beklagte verpflichtet war, verschiedene Überprüfungsanträge vom 7. April 2009 zu bescheiden. Mit den hier streitgegenständlichen zwölf Überprüfungsanträgen begehrt der Kläger die Überprüfung der Leistungshöhe im Zeitraum vom 1. Januar 2005 bis 31. März 2009.
Der 1956 geborene Kläger ist alleinstehend und bezieht seit dem 1. Januar 2005 Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) von dem Beklagten.
Mit (hier nicht streitgegenständlichem) Bescheid vom 12. März 2009 bewilligte der Beklagte dem Kläger für die Zeit vom 1. April bis 30. September 2009 Leistungen nach dem SGB II. Am 6. April 2009 suchte der Kläger eine Rechtsanwältin auf, für deren Kanzlei er dann am selben Tag folgende Vollmacht unterzeichnete: Der Kanzlei wird "in Sachen M. gegen ARGE Grundsicherung G. wegen Leistungen SGB II Vollmacht erteilt". Am 7. April 2009 legte die Bevollmächtigte gegen den Bescheid vom 12. März 2009 Widerspruch ein und rügte neben der Begründungspflicht auch die Berechnung der Unterkunftskosten. Der Beklagte half dem Widerspruch mit Bescheid vom 8. Juni 2010 in vollem Umfang ab, weil die Abzüge für die Warmwasserbereitung im Ausgangsbescheid nicht zutreffend berechnet waren.
Die Prozessbevollmächtigte des Klägers stellte am 7. April 2009 darüber hinaus Überprüfungsanträge nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) bezüglich verschiedener Bescheide, mit denen für die Zeit vom 1. Januar 2005 bis 31. März 2009 Leistungen bewilligt worden waren.
Im Einzelnen beantragte die Prozessbevollmächtigte die Überprüfung des Bescheides vom 18. November 2004 für den Zeitraum vom 1. Januar bis 30. April 2005, des Bescheides vom 14. April 2005 für den Zeitraum vom 1. Mai bis 30. September 2005, des Bescheides vom 5. September 2005 für den Zeitraum vom 1. Oktober 2005 bis 31. März 2006, des Bescheides vom 20. März 2006 für den Zeitraum vom 1. April 2006 bis 30. September 2006, des Bescheides vom 13. Mai 2006 für den Zeitraum vom 1. Juli 2006 bis 30. September 2006, des Bescheides vom 25. August 2006 für den Zeitraum vom 1. August 2006 bis 31. März 2007, des Bescheides vom 5. März 2007 für den Zeitraum vom 1. April 2007 bis 30. September 2007, des Bescheides vom 2. Juni 2007für den Zeitraum vom 1. Juli 2007 bis 30. September 2007, des Bescheides vom 28. August 2007 für den Zeitraum vom 1. Oktober 2007 bis 31. März 2008, des Bescheides vom 25. Februar 2008 für den Zeitraum vom 1. April 2008 bis 30. September 2008, des Bescheides vom 27. März 2008 für den Zeitraum vom 1. April 2008 bis 30. September 2008, des Bescheides vom 17. Mai 2008 für den Zeitraum vom 1. Juli 2008 bis 30. September 2008 und des Bescheides vom 16. September 2008 für den Zeitraum vom 1. Oktober 2008 bis 31. März 2009. Bezüglich dieser Überprüfungsanträge hat der Beklagte keine Entscheidung getroffen.
Am 30. Oktober 2009 hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers vor dem Sozialgericht Gotha Untätigkeitsklage erhoben, weil der Beklagte nicht über den Überprüfungsantrag vom 7. April 2009 bezüglich des Bewilligungsbescheides vom 18. November 2004 (Bewilligungsabschnitt vom 1. Januar bis 30. April 2005) entschieden hat (S 29 AS 6055/09).
Am selben Tag erhob der Prozessbevollmächtigte noch zwölf weitere Untätigkeitsklagen:
S 29 AS 6043/09 wegen der Überprüfung des Änderungsbescheides vom 13. Mai 2006,
S 29 AS 6044/09 wegen der Überprüfung des Bewilligungsbescheides vom 5. September 2005,
S 29 AS 6045/09 wegen der Überprüfung des Bewilligungsbescheides vom 5. März 2007,
S 29 AS 6046/09 wegen der Überprüfung des Änderungsbescheides vom 2. Juni 2007,
S 29 AS 6048/09 wegen der Überprüfung des Bewilligungsbescheides vom 28. August 2007,
S 29 AS 6050/09 wegen der Überprüfung des Bewilligungsbescheides vom 27. März 2008,
S 29 AS 6052/09 wege...