Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Unfallversicherung. Arbeitsunfall. weitere Unfallfolge: psychische Gesundheitsstörung. posttraumatische Belastungsstörung. Klassifikation ICD-10- F 43.1. A-Eingangskriterium. Nachweis im Vollbeweis. CAPS-5 Test. haftungsbegründende Kausalität. Theorie der wesentlichen Bedingung. MdE-Einschätzung hinsichtlich der Beeinträchtigungen auf psychiatrischem Fachgebiet. Angriff durch Hund
Leitsatz (amtlich)
1. Voraussetzung für die Anerkennung einer posttraumatischen Belastungsstörung als Folge eines Arbeitsunfalls ist sowohl eine einzelfallbezogene positive Feststellung ihres Vorliegens als auch ihrer Verursachung nach der Bedingungstheorie.
2. Zur Erfüllung des A-Eingangskriteriums für die Diagnose einer PTBS im Falle eines Hundebisses. Ob ein solcher ein Ereignis außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigen Ausmaßes, das bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde, darstellt, ist unter Würdigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalles zu entscheiden.
3. Zur MdE-Einschätzung wegen Beeinträchtigungen auf psychiatrischem Fachgebiet.
Orientierungssatz
Bei dem psychologischen CAPS-5 Test handelt es sich um ein an DSM-Kriterien orientiertes Fremdbeurteilungsverfahren zur Diagnose und Schweregradbeurteilung der PTBS.
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Nordhausen vom 9. Dezember 2019 aufgehoben. Der Bescheid der Beklagten vom 23. November 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Juni 2017 wird abgeändert. Es wird festgestellt, dass bei der Klägerin als weitere Unfallfolge des Ereignisses vom 25. Mai 2014 eine posttraumatische Belastungsstörung (ICD-10 F43.0) vorliegt. Die Beklagte wird verurteilt der Klägerin ab dem 9. März 2015 bis 30. April 2017 eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 30 v.H., ab dem 1. Mai 2017 nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 20 v.H. zu gewähren. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Anerkennung einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) als weitere Unfallfolge und die Gewährung einer Verletztenrente infolge eines Arbeitsunfalls.
Die 1983 geborene Klägerin war zum Zeitpunkt des Ereignisses am 25. Mai 2014 als Pflegehelferin bei einem ambulanten Pflegedienst im Rahmen einer geringfügigen Beschäftigung tätig. Während ihrer Tätigkeit ist sie auf dem Weg zu einem Patienten auf dem Grundstück von einem freilaufenden Hund der Rasse Dogo-Argentino-Mastiff in den linken Ober- und Unterarm gebissen worden. Sie wurde aufgrund dessen ab dem 25. bis zum 28. Mai 2014 stationär in der E1 Klinikum gGmbH behandelt. Seit dem Tag war sie arbeitsunfähig erkrankt. Ab dem 24. Juni 2014 begab sie sich in Behandlung der R. Dort berichtete sie von einem großen Hund angefallen worden zu sein. Wenn sie den Arm nicht hochgerissen hätte, wäre er ihr an die Kehle gegangen. An Genaueres könne sie sich nicht erinnern. Seit dem Hundebiss fühle sie sich überfordert, habe Angst und Panik und müsse viel weinen. R äußerte den Verdacht auf eine PTBS.
Laut Unfallanzeige der Arbeitgeberin der Klägerin vom 24. Juni 2014 betrat die Klägerin den Hof durch den Vordereingang; das Tor war ca. 30 cm geöffnet. Zu sehen gewesen seien ein Hund im Zwinger sowie der Hundebesitzer beim Rasenmähen. Als die Klägerin auf dem Hof war, habe der Hundebesitzer, der Ehemann der Nichte des Pflegebedürftigen, geschrien „Renn raus", in dem Moment sei der Hund bereits am Arm gewesen. Bereits seit 2011 werde der Pflegebedürftige täglich dreimal gepflegt. Die Pflege habe mehrfach nicht durchgeführt werden können, weil die Hunde, die bereits mehrfach auffällig geworden seien, auf dem Hof waren.
Laut Bericht der Berufsgenossenschaftlichen Kliniken H1 Medizinische Psychologie vom 22. September 2014 anlässlich der ambulanten Vorstellung der Klägerin am 17. September 2014 (U) sind das Vollbild einer PTBS oder einer spezifischen Phobie derzeit nicht erfüllt. U diagnostizierte eine Anpassungsstörung mit Angst bzw. vorwiegender Störung von anderen Gefühlen (ICD-10: F43.23; DSM-IV-TR: 309.24).
Die Berufsgenossenschaftlichen Kliniken H1 Klinik für Anästhesiologie, Intensiv- und Notfallmedizin, Schmerztherapie berichteten am 1. Oktober 2014 (Vorstellung der Klägerin am 29. September 2014), bei der Klägerin bestehe eine Hundebissverletzung der oberen linken Extremität mit posttraumatischer Nervus ulnaris Irritation. Laut Bericht der Berufsgenossenschaftlichen Kliniken H1 Klinik für Plastische und Handchirurgie/Brandverletztenzentrum vom 7. Oktober 2014 anlässlich einer stationären Heilverlaufskontrolle vom 29. bis 30. September 2014 zeigten alle Befunde keine Residuen nach der Hundebissverletzung. Es zeigten sich ein regelrechter Wundheilungsverlauf, sowie ein regelrechter Status. Es fänden sich keine höhergradigen Läsionen des Nervus ulnaris.
Im Abschlussbericht vom 19...