Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Unfallversicherung. Wegeunfall. Nachtanken. sachlicher Zusammenhang. eigenwirtschaftliche Tätigkeit. Vorbereitungshandlung. Unvorhersehbarkeit des Tankens. Inanspruchnahme des Reservekraftstoffes oder Tankwarnung nicht ausreichend. Erforderlichkeit eines unerwarteten Benzinmehrverbrauchs
Orientierungssatz
1. Um einen Tankvorgang ausnahmsweise als unfallversicherte Tätigkeit auf dem Arbeitsweg annehmen zu können, muss das Erfordernis zum Tanken tatsächlich objektiv und subjektiv unvorhersehbar sein, wie es zB bei unerwarteten Verkehrsbehinderungen, Umleitungen sowie Motorstörungen, die zu einem erhöhten Benzinverbrauch führen, Defekt der Benzinleitung, Stau, erhöhtes Heizverhalten oder Nutzen der Klimaanlage zB im Stau etc sein kann (vgl auch LSG Berlin-Potsdam vom 16.5.2013 - L 3 U 268/11 = UV-Recht Aktuell 2013, 1012 und vom 4.9.2014 - L 2 U 42/12).
2. Die Inanspruchnahme des Reservekraftstoffes allein ist kein brauchbarer Anhaltspunkt für die Notwendigkeit des Tankens (so aber wohl BSG vom 14.12.1978 - 2 RU 59/78 = SozR 2200 § 550 Nr 39), da ansonsten derjenige Versicherte, der kein vorausschauendes Tankverhalten an den Tag legt (und gegebenenfalls bewusst erst bei entsprechender Warnung tankt), in den Genuss des Versicherungsschutzes kommen würde, während der gewissenhafte und verantwortungsbewusste Beschäftigte (der auf dem Weg von oder zur Arbeitsstätte sein Fahrzeug betankt, auch ohne oder gerade zur Vermeidung, dass eine entsprechende Tankwarnung erfolgt) insoweit nicht unter Versicherungsschutz der gesetzlichen Unfallversicherung stünde.
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Meiningen vom 4. September 2017 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Anerkennung eines Arbeitsunfalles streitig.
Die Klägerin arbeitete am 20. September 2016 als Sachbearbeiterin bei der Spedition Sch. Deutschland AG in deren Betriebsstätte in B.. An diesem Tag fuhr die Klägerin mit ihrem PKW Audi A 3 wie gewöhnlich vom E.-weg in N.-Sch. zunächst über die B 89 zur B 4 nach R., dort auf die A 73, dann die A 73 südlich nach B. bis zum B. Kreuz, wo sie auf die A 70 wechselte und dann an der Abfahrt B. Hafen zur Arbeit abfuhr. Auf der A 73 gab es nach Angaben der Klägerin in Höhe B. wegen Brückenbauarbeiten für Momente zähflüssigen Verkehr. Weitere Besonderheiten gab es jedoch nicht; insbesondere erfolgte im Fahrzeugdisplay kein Hinweis zum Tanken, auch nicht beim Eintreffen am Arbeitsort. Nach Verrichtung ihrer Arbeit ging die Klägerin zum Parkplatz und stieg in ihr Fahrzeug ein. Sie hatte ursprünglich die Heimfahrt ohne Unterbrechung in umgekehrter Wegstrecke zum Hinweg durchführen wollen. Beim Start ertönte aber das Tank-Warngeräusch. Beim Blick auf die Tankanzeige sah die Klägerin ein oranges Tanksymbol. Deswegen fuhr sie zu der an ihrer Wegstrecke nächstliegenden Tankstelle in der E.-K.-Straße in H.. Dort betankte die Klägerin ihr Fahrzeug. Auf dem anschließenden Weg von der Zapfsäule zum Bezahlen rutschte sie auf einem Treibstofffleck aus, wobei es zu einer Sprunggelenksfraktur rechts Typ Weber B mit knöchernen Syndesmosenausriss und Innenbandruptur kam.
Mit Bescheid vom 11. Oktober 2016 lehnte die Beklagte die Anerkennung als Arbeitsunfall ab. Es habe kein Unfall stattgefunden, der mit der den Versicherungsschutz begründenden Tätigkeit in einem inneren Zusammenhang gestanden habe. Es handele sich nicht um einen Arbeitsunfall, da die Klägerin zum Unfallzeitpunkt eine eigenwirtschaftliche und damit nicht versicherte Tätigkeit ausgeübt habe. Der Widerspruch blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 16. Februar 2017).
Die Klägerin hat hiergegen Klage erhoben und vorgetragen, zwar sei das Tanken grundsätzlich eine unversicherte Tätigkeit, doch gelte nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) dann etwas anderes, wenn das Nachtanken - wie bei ihr - unvorhergesehen erforderlich sei. Sie habe das Aufleuchten der Reserveanzeige erst beim Losfahren festgestellt. Ohne ein Nachtanken wäre die Heimfahrt von mehr als 70 km nicht zu schaffen gewesen - zumal auf der A 73 wegen Brückenbauarbeiten mit Stauaufkommen gerechnet werden musste.
Mit Urteil vom 4. September 2017 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Zum Unfallzeitpunkt habe die Klägerin ihre Heimfahrt durch eine eigenwirtschaftliche Tätigkeit, nämlich das Tanken, unterbrochen. Dieses sei nicht deswegen betrieblich veranlasst, weil es sich um eine Dienstfahrt gehandelt habe oder das Fahrzeug als Arbeitsmittel eingesetzt worden sei. Auch die Rechtsprechung zum unvorhergesehen aufgetretenen Kraftstoffmangel sei vorliegend nicht einschlägig. Diese sei nicht anzunehmen bei Notwendigkeit des Nachtankens wegen schlichten Leerfahrens des Tanks, sondern nur bei Kraftstoffmangel wegen Stehens im Stau, Defekt der Benzinleitung etc.
Hie...