Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Krankenhaus. DRG-Fallpauschale. Auslegung von Abrechnungsbestimmungen. Kodierung einer neurologischen Komplexbehandlung des akuten Schlaganfalls. unmittelbarer Zugang zu neurochirurgischen Notfalleingriffen sowie zu gefäßchirurgischen und interventionell-neuroradiologischen Behandlungsmaßnahmen. Transportentfernung. Unabhängigkeit vom Transportmittel. Notfall. Verwendung von Sondersignalen

 

Orientierungssatz

1. Welche DRG-Position abzurechnen ist, ergibt sich rechtsverbindlich nicht aus einem schriftlich festgelegten abstrakten Tatbestand, sondern aus der Eingabe von im Einzelnen von einem Programm vorgegebenen, abzufragenden Daten in ein automatisches Datenverarbeitungssystem und dessen Anwendung (vgl BSG vom 13.11.2012 - B 1 KR 14/12 R = SozR 4-2500 § 301 Nr 1).

2. Zur Frage der Auslegung der Abrechnungsbestimmungen der Fallpauschalenvereinbarung (juris: KFPVbg 2007) und des Operationen- und Prozedurenschlüssels (OPS).

3. Der klare Wortlaut der Schlüsselnummer 8-981 des OPS 2007 verlangt, dass die Zeit des unmittelbaren Zugangs zu neurochirurgischen Notfalleingriffen sowie zu gefäßchirurgischen und interventionell-neuroradiologischen Behandlungsmaßnahmen unabhängig vom Transportmittel erreichbar sein muss, sie muss also nicht nur mit dem relativ schnellen Rettungshubschrauber, sondern auch mit dem langsameren Krankenwagen eingehalten werden können.

4. Für die Erfüllung der Schlüsselnummer 8-981 der OPS 2007 ist es nicht von Bedeutung, dass die Transportentfernung unter Verwendung von Sondersignalen in 30 Minuten zurückzulegen ist.

 

Normenkette

OPS Nr. 8-981; SGB V § 109 Abs. 4 S. 3; StVO § 38

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 21.04.2015; Aktenzeichen B 1 KR 8/15 R)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Gotha vom 23. November 2009 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin eine neurologische Komplexbehandlung des akuten Schlaganfalls durchgeführt hat.

Die Klägerin betreibt ein Krankenhaus und verfügt über eine sog. stroke unit, also eine besondere Station zur Behandlung von Schlaganfallpatienten. Diese Station wurde 2007 durch den Facharzt für Neurologie Dr. H. geleitet. Im Juni 2007 wurden die 24-Stunden Anwesenheitsdienste durch Fachärzte für Anästhesiologie bzw. durch Assistenzärzte in der Ausbildung zum Facharzt für Anästhesiologie gewährleistet.

Eine Versicherte der Beklagten, P. M. (nachfolgend: Versicherte), wurde vom 18. Juni 2007 bis 22. Juni 2007 auf der stroke unit stationär behandelt. Die Klägerin rechnete gegenüber der Beklagten eine Fallpauschale nach DRG (diagnosis related group) B70C (Apoplexie mit neurologischer Komplexbehandlung des akuten Schlaganfalls, bis 72 Stunden, ohne intrakranielle Blutung, mehr als ein Belegungstag) ab. Diese beglich zunächst die Forderung der Klägerin, veranlasste jedoch eine Prüfung durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Thüringen (MDK). Er kam in einer Stellungnahme vom 4. September 2007 zu dem Ergebnis, dass die Fallpauschale B70E (Apoplexie ohne neurologischer Komplexbehandlung des akuten Schlaganfalls, bis 72 Stunden, ohne intrakranielle Blutung, mehr als ein Belegungstag oder Delirium mit äußert schweren CC) zutreffend sei. Eine neurologische Komplexbehandlung des akuten Schlaganfalls habe nicht vorgelegen, da keine 24-stündige Anwesenheit eines Facharztes für Neurologie gewährleistet war. Die Beklagte teilte der Klägerin daraufhin durch Schreiben vom 10. September 2007 mit, dass sie sich den aus den unterschiedlichen Fallpauschalen ergebenden Differenzbetrag von 1.374,01 € "gutgeschrieben" habe.

Im anschließenden Klageverfahren hat das Sozialgericht bei Prof. Dr. G. ein Sachverständigengutachten eingeholt. Er vertrat in seinem Gutachten vom 24. Juli 2009 die Auffassung, dass für die 24-stündige ärztliche Anwesenheit ein Facharzt oder ein Assistenzarzt in der Weiterbildung zum Facharzt ausreichend sei; nicht erforderlich sei ein Facharzt für Neurologie. Die sonstigen Voraussetzungen für eine neurologische Komplexbehandlung des akuten Schlaganfalls seien erfüllt, insbesondere bestehe ein unmittelbarer Zugang zu neurochirurgischen Notfalleingriffen sowie zu gefäßchirurgischen und interventionell-neuroradiologischen Behandlungsmaßnahmen. Die letztgenannten Maßnahmen würden durch die Zusammenarbeit mit dem H.-Klinikum E. ermöglicht. Die Fahrtzeit betrage zwar normal 34 bis 36 Minuten und damit mehr als die erforderliche halbstündige Transportentfernung. Bei einem Notfalltransport unter Sondersignalen (Blaulicht und Martinshorn) sei die H.-Klinik E. aber in weniger als 30 Minuten zu erreichen, alternativ könne auf einen Hubschrauber zurückgegriffen werden.

Mit Urteil vom 23. November 2009 hat das Sozialgericht die Beklagte zur Zahlung des Differenzbetrages von 1.374,01 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1...

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