Entscheidungsstichwort (Thema)

Neustrukturierung der Versorgungsverwaltung im Freistaat Thüringen. Geeignetheit der Vertretung in Angelegenheiten des § 71 Abs 5 SGG

 

Orientierungssatz

1. Das Landesverwaltungsamt, dem durch § 2 Abs 1 der "Anordnung über die Auflösung des Landesamtes für Soziales und Familie und der Versorgungsämter sowie Thüringer Verordnung zur Änderung der Zuständigkeiten in der Versorgungs- und Sozialverwaltung" (VersorgAmtAuflAnO TH) vom 1.4.2008 (GVBl TH 2008, 85) die Aufgaben des Landesversorgungsamtes übertragen wurden, ist geeignete "Stelle" iS des § 71 Abs 5 SGG.

2. Infolge der mit der mit der Föderalismusreform 2006 (Gesetz zur Änderung des Grundgesetztes vom 28.8.2006 - GGÄndG 2006) vorgenommenen Änderung des Art 84 Abs 1 GG ist es den Ländern nunmehr unbenommen, die für die Durchführung der Kriegsopferversorgung und damit nach § 25 Abs 4 S 1 StrRehaG auch für die hier streitige Gewährung von Leistungen nach §§ 21, 22 StrRehaG zuständigen Behörden selbst - und auch abweichend von den bundesgesetzlichen Bestimmungen des Gesetztes über die Errichtung der Verwaltungsbehörden der Kriegsopferversorgung (juris: KOVVwG) - zu regeln.

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Gotha vom 5. Mai 2004 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Anerkennung weiterer Erkrankungen als Folge zu Unrecht erlittener Haft sowie die Gewährung höherer Versorgungsbezüge.

Im November 1996 beantragte sie die Gewährung von Beschädigtenversorgung nach dem Ersten Gesetz zur Bereinigung von SED-Unrecht (1. SED-UnBerG) wegen “Rheuma am ganzen Körper, Asthma, Durchblutungsstörungen, Stirnhöhlenerkrankung, Unterleibserkrankung, Bandscheiben„. Sie gab an, die Körperschäden seien auf die Haftbedingungen, Kälte, Arrest, Ackerbau-Tätigkeiten und Bedienung von Maschinen bei ihren Inhaftierungen vom 1. Oktober 1971 bis 22. Dezember 1972 in H. sowie von Mai 1974 bis 27. Januar 1977 in Q. zurückzuführen. Bereits vor der Haft habe eine Unterleibserkrankung bestanden, derentwegen sie auch behandelt worden sei.

Nach dem Beschluss der 5. Kammer für Rehabilitierungssachen des Landgerichts Erfurt vom 15. Februar 1994 hat die Klägerin vom 1. Oktober 1971 bis 19. Dezember 1972 sowie vom 15. Mai 1974 bis 27. Januar 1975 unschuldig Freiheitsentziehung erlitten. Die Verurteilung wegen ungesetzlichen Grenzübertritts (Urteil des Kreisgerichts Erfurt-Nord vom 17. August 1971) wurde für rechtsstaatswidrig erklärt und aufgehoben; der auf das Urteil des Kreisgerichts Erfurt-Nord vom 18. Juli 1974 gerichtete Antrag sei hingegen unbegründet. Der Beklagte zog die medizinischen Unterlagen aus der Gefangenenpersonalakte der Klägerin bei der Justizvollzugsanstalt (JVA) V. zu beiden Haftzeiträumen, Versicherungsausweise der Klägerin sowie verschiedene Befundberichte behandelnder Ärzte und des Landesfachkrankenhauses für Psychiatrie und Neurologie S. bei und ließ die Klägerin im März 1998 versorgungsärztlich untersuchen. Dr. H. stellte eine Alkoholkrankheit mit Leber- und Nervenschädigung, eine chronisch obstruktive Bronchitis, ein vertebragenes Schmerzsyndrom der Wirbelsäule, eine ausgeheilte chronische Eierstockentzündung sowie rezidivierende Nierenbeckenentzündungen fest. Für eine rheumatische Erkrankung, Stirnhöhlenerkrankung, Durchblutungsstörungen bzw. Bandscheibenschädigungen gebe es keine Hinweise. Auch die festgestellten Gesundheitsstörungen könnten nicht auf die Haftbedingungen zurückgeführt werden. Die schädigenden Einflüsse während der mehrjährigen Inhaftierung seien nicht geeignet gewesen, eine chronische Atemwegs- und Wirbelsäulenerkrankung hervorzurufen. Die Unterleibserkrankungen habe bereits vor der Haft bestanden und sei auch während der Haft adäquat behandelt worden. Die übrigen geltend gemachten Gesundheitsstörungen seien zum jetzigen Zeitpunkt nicht mehr nachweisbar. - Daraufhin lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 4. Mai 1998 den Antrag der Klägerin ab.

Auf den dagegen eingelegten Widerspruch zog der Beklagte weitere medizinische Unterlagen bei. Mit Schreiben vom Oktober 1999 machte die Klägerin (erstmals) geltend, sie habe während der Haftzeit in Q. an einer schweren Depression gelitten und sei deshalb von 1975 bis Oktober 1976 von dem Gefängnisarzt und nach der Haft wegen Depression, Angstzuständen und Alpträumen weiterhin neurologisch/psychiatrisch behandelt worden. Der Versuch des Beklagten, hierzu medizinische Unterlagen zu erlangen, blieb erfolglos. Er zog sodann die vollständigen Strafakten der Klägerin aus den Jahren 1971 und 1974 sowie ihre Patientenunterlagen aus dem Landesfachkrankenhaus für Psychiatrie und Neurologie S. zu einer stationären Entzugsbehandlung bei und veranlasste ein psychologisch-ärztliche Begutachtung zur Frage einer psychischen Gesundheitsstörung als Haftfolge durch Prof. Dr. Dr. M. Dieser diagnostizierte in dem Gutachten vom August 2001: posttraumatische Belastungsstörung ...

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