Entscheidungsstichwort (Thema)
Anspruch des Versicherten mit einem Schwenksitz einschließlich Montage im Pkw. der Eltern
Orientierungssatz
1. Der von § 33 Abs. 1 SGB 5 beabsichtigte Behinderungsausgleich hat zwei Zielrichtungen. Dessen Gegenstand sind zunächst solche Hilfsmittel, die auf den Ausgleich der Behinderung selbst gerichtet sind. Ferner sind solche Hilfsmittel umfasst, welche die direkten und indirekten Folgen einer Behinderung ausgleichen.
2. Ein Hilfsmittel zum mittelbaren Behinderungsausgleich ist von der gesetzlichen Krankenversicherung nur zu gewähren, wenn es die Auswirkungen der Behinderung im gesamten täglichen Leben beseitigt oder mildert und ein allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens betroffen ist.
3. Das Grundbedürfnis auf Erschließung eines körperlichen Freiraumes umfasst die Bewegungsmöglichkeit in der eigenen Wohnung und im umliegenden Nahbereich.
4. Der zu gewährende Basisausgleich erfasst nicht die Fähigkeit, weitere Wegstrecken, vergleichbar einem Radfahrer oder Wanderer, zu bewältigen.
5. Ist der Versicherte mit einem Aktiv-, einem Elektro- und einem Zimmerrollstuhl ausreichend zur Erschließung des Nahbereichs versorgt, so besteht kein Anspruch auf Einbau eines schwenkbaren Autositzes in den Pkw. seiner Eltern, weil er damit nicht in der Lage ist, selbständig Ärzte oder Therapeuten aufzusuchen.
6. Ist dem Versicherten hierzu ein Transport in einem Taxi oder mittels Krankentransport zumutbar, so besteht kein Anspruch auf Versorgung mit einem Autoschwenksitz als Hilfsmittel der gesetzlichen Krankenversicherung weder unter dem Gesichtspunkt des Behinderungsausgleichs, noch der Vorbeugung einer drohenden Behinderung, noch der Sicherung des Erfolgs einer Krankenbehandlung.
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Gotha vom 26. Februar 2008 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Versorgung mit einem Schwenksitz einschließlich der Montage des Sitzes in den Pkw ihrer Eltern.
Die 1975 geborene Klägerin ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Sie leidet an spastischer Tetraplegie, mol. Aphasie und einem hirnorganischen Psychosyndrom. Die Klägerin verfügt über einen GdB von 100; anerkannt sind die Merkzeichen "B", "G", "aG", "H", "RF". Sie ist auf ständige Benutzung eines Rollstuhls angewiesen. Im Juli 2005 beantragte sie vertreten durch ihre Eltern unter Vorlage einer ärztlichen Verordnung vom 7. Juli 2005 und eines Kostenvoranschlages einer Reha-Technik-Werkstatt die Versorgung mit einer Hubvorrichtung für Be- und Entladen einer behinderten Person in den Pkw (Schwenksitz "Turny 300"). Laut Kostenvoranschlag verursacht dies Kosten in Höhe von 8.585,16 € einschließlich Einbau und TÜV-Abnahme.
Mit Bescheid vom 2. August 2005 lehnte die Beklagte den Antrag mit der Begründung ab, dass Schwenksitze zum Umbau eines Pkw keine Hilfsmittel seien.
Einen hiergegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 22. Dezember 2005 zurück. Die Klägerin sei mit einem Scalamobil, einem Elektrorollstuhl, einem Aktivrollstuhl, einem Zimmerrollstuhl sowie einem Liftersystem ausreichend versorgt.
Hiergegen hat die Klägerin am 26. Januar 2006 Klage erhoben. Mit dem begehrten Hilfsmittel sollten nicht der persönliche Freiraum für den Gebrauch eines Pkw erweitert, sondern ausschließlich die Auswirkungen der Behinderung gemildert werden. Insbesondere gehe es um die Ermöglichung der erforderlichen Arzt- bzw. Therapeutenbesuche. Sie befinde sich in ständiger hausärztlicher und orthopädischer Betreuung. Es seien regelmäßig Physiotherapeuten, Hausarzt, Augenarzt und Optiker aufzusuchen. Mit Hilfe des Schwenksitzes könne sie ohne fremde körperliche Hilfe das Kraftfahrzeug besteigen und verlassen. Aufgrund unkontrollierter spastischer Bewegungen der Hände könne sie mit dem Elektrorollstuhl außerhalb der Wohnung nicht allein unterwegs sein. Das Sozialgericht (SG) hat Auskünfte der behandelnden Ärzte und Therapeuten über die Behandlungshäufigkeit eingeholt. Im sozialgerichtlichen Verfahren wurde ein weiterer Kostenvoranschlag über einen Schwenksitz "Turny 300" vom 2. März 2007 über einen Gesamtpreis in Höhe von 5.916,50 € vorgelegt.
Mit Urteil vom 26. Februar 2008 hat das SG die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 2. August 2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Dezember 2005 verurteilt, die Klägerin mit einem Autoschwenksitz zu versorgen. Es bestehe ein Anspruch auf Versorgung mit einem schwenkbaren Autositz gemäß § 33 Abs. 1 Satz 1 3. Alt. des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V). Zu den Grundbedürfnissen des täglichen Lebens zähle das Bedürfnis bei Krankheit oder Behinderung Ärzte und Therapeuten im erforderlichen Umfang aufzusuchen. Mit den vorhandenen Rollstühlen könnten nicht alle Ärzte und Therapeuten aufgesucht werden. Der Weg zu den Therapeuten werde durch die Benutzung des Pkw erheblich ...