Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Anspruch auf Krankengeld. Leistungsdauer. hinzugetretene Krankheit. Auslegung des § 48 Abs 1 S 2 SGB 5. Feststellung von Arbeitsunfähigkeit durch Arzt des MDK. sozialgerichtliches Verfahren. Verfahrensfehler. Beratung und Abstimmung im Sitzungssaal

 

Orientierungssatz

1. Ein "Hinzutreten während der Arbeitsunfähigkeit" iSv § 48 Abs 1 S 2 SGB 5 liegt unter Berücksichtigung von Wortlaut, Systematik sowie Sinn und Zweck der Regelung auch dann vor, wenn zeitgleich mit dem Vorliegen oder Wiedervorliegen einer zu Arbeitsunfähigkeit führenden ersten Erkrankung unabhängig von dieser Erkrankung zugleich eine weitere Krankheit die Arbeitsunfähigkeit des Versicherten bedingt.

2. Erst wenn die ursprüngliche Krankheit bzw die auf ihr beruhende Arbeitsunfähigkeit behoben ist, kann die nunmehr allein arbeitsunfähigkeitsverursachende Zweitkrankheit ihrerseits einen Anspruch auf Krankengeld auslösen. § 48 Abs 1 S 2 SGB 5 wirkt sich folglich erst von dem Zeitpunkt an aus, von dem an wegen der hinzugetretenen Krankheit allein Arbeitsunfähigkeit besteht.

3. § 48 Abs 1 S 2 SGB 5 besagt nicht, dass der Leistungsanspruch wegen der hinzugetretenen Krankheit in dem Anspruch wegen der ersten Krankheit "aufgeht", denn es ist nicht geregelt, dass unter "derselben Krankheit" auch die "Hinzugetretene" zu verstehen ist, dh die Hinzugetretene mit "derselben" identisch ist.

4. Nach § 46 S 1 Nr 2 SGB 5 kann Arbeitsunfähigkeit durch jeden Arzt, also auch durch Ärzte des MDK festgestellt werden. Es muss sich weder um einen Vertragsarzt handeln, noch um den behandelnden Arzt des Versicherten.

5. § 193 GVG soll die Einflussnahme Dritter ausschließen und setzt daher grundsätzlich voraus, dass Beratung und Abstimmung in einem nicht öffentlichen Raum stattfinden. Unbedenklich ist zwar eine leise Beratung und Abstimmung im Sitzungssaal über einfache Fragen, nicht aber - wie hier - über das Urteil selbst.

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Gotha vom 27. Januar 2014 aufgehoben. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 17. August 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24. Februar 2011 verurteilt, dem Kläger ab dem 22. November bis 14. Dezember 2010 Krankengeld in Höhe von 1.218,54 € netto zu zahlen.

Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger für die Zeit vom 22. November 2010 bis 14. Dezember 2010 Anspruch auf Zahlung von Krankengeld hat.

Der 1967 geborene Kläger ist seit dem 1. März 2008 bei der Beklagten als Arbeitsloser pflichtversichert und war ab dem 22. Mai 2009 aufgrund der Diagnose ICD-10-GM Version 2009 (im Folgenden: ICD-10) M51.9 (Bandscheibenschaden, nicht näher bezeichnet) arbeitsunfähig erkrankt und bezog ab dem 3. Juli 2009 Krankengeld. Die Beklagte holte zur Prüfung des Leistungsbildes ein Gutachten des … Thüringen e.V. (MDK) - Dr. R. - vom 25. November 2009 ein, wonach Arbeitsunfähigkeit aufgrund der Diagnosen ICD-10 M54.9 (Rückenschmerzen, nicht näher bezeichnet) und F32.9 (Sonstige depressive Episode, nicht näher bezeichnet), die im Text als reaktiv depressive Verstimmung mit Somatisierung bezeichnet wurde, vorlag. Der Kläger sei am Untersuchungstag in Begleitung seiner Ehefrau erschienen und klage über weitgehend therapieresistente Wirbelsäulenbeschwerden und diffuse Befindlichkeitsstörungen mit deutlichen Einschränkungen im Alltag. Dr. R. führte aus, aus ihrer Sicht liege bei dem Kläger zusätzlich eine deutlich depressive Verstimmung mit Antriebsminderung und Somatisierungstendenz vor. Diesbezüglich werde fachärztliche Mitbehandlung, gegebenenfalls Einleitung einer Psychotherapie empfohlen. Soweit keine OP-Indikation vorliege empfehle sie die Durchführung einer psychosomatisch orientierten Rehabilitationsmaßnahme. Im Ergebnis dieser Maßnahme könnten das endgültige Leistungsbild und die Erwerbsprognose beurteilt werden. Das Begutachtungsergebnis wurde dem Kläger laut Vermerk in dem Gutachten mitgeteilt.

Am 10. Februar 2010 beendete der Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie Dr. K. die Arbeitsunfähigkeit. Vom 11. bis 12. Februar 2010 war der Kläger erneut als Arbeitsloser bei der Beklagten pflichtversichert. Am 12. Februar 2010 bescheinigte ihm der Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. T. Arbeitsunfähigkeit wegen der Diagnose ICD-10 Version 2010 R53G (Unwohlsein, Ermüdung). Ab dem 26. Februar 2010 erfolgte die Bescheinigung der Arbeitsunfähigkeit auch aufgrund der Diagnose ICD-10 R16.1 (Splenomegalie), ab dem 26. August 2010 auch wegen ICD-10 F43.2 (Anpassungsstörungen, hier bezeichnet als: Depressiv-getönte Anpassungsstörung nach beruflicher und privater Überforderung und anhaltende somatoforme Schmerzstörung).

Vom 1. Juni bis 6. Juli 2010 absolvierte der Kläger eine Rehabilitationsmaßnahme in der Rehabilitationsklinik … - Abteilung Psychosomatik -. Laut Rehabilitationsentlassungsbericht vom 29. Juli 2010 wurden...

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