Entscheidungsstichwort (Thema)
Überlanges Gerichtsverfahren. Entschädigungsklage. unangemessene Verfahrensdauer. Gesamtschau. richterliche Unabhängigkeit. Förderung einer gütlichen Einigung. Vergleichsverhandlungen. Verzögerung durch Prozessverhalten des Klägers. unbegründete Befangenheitsanträge. umfangreiche Schriftsätze. Bezugnahmen auf andere Verfahren. Altfall. Übergangsregelung. unverzügliche Erhebung der Verzögerungsrüge. Heilung der Wartefrist durch Zeitablauf. sozialgerichtliches Verfahren
Leitsatz (amtlich)
Wenn der Richter in einem sozialgerichtlichen Verfahren im Rahmen seiner richterlichen Unabhängigkeit im Interesse der Beteiligten eine gütliche Einigung herbeiführen will und dies unter Umständen zeitaufwendiger ist, als eine Entscheidung zu treffen, kann dies grundsätzlich nicht zu einer "unangemessenen" Verlängerung des Verfahrens führen, zumal sich gerade bei dieser Vorgehensweise - Förderung einer gütlichen Einigung - das Entschädigungsgericht wegen der richterlichen Unabhängigkeit bei einer Bewertung zurückzuhalten hat. Unerheblich ist es, wenn die Bemühungen einer gütlichen Einigung letztlich scheitern, denn ansonsten könnte sich ein Sozialrichter veranlasst sehen, bei einer drohenden Verlängerung des Rechtsstreites und drohender Überlänge durch Vergleichsverhandlungen, von dem Versuch der Herbeiführung einer gütlichen Einigung Abstand zu nehmen.
Orientierungssatz
1. Eine Klage auf Entschädigung wegen unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens wird, auch wenn zunächst die Wartefrist des § 198 Abs 5 S 1 GVG nicht eingehalten wurde, wie in den Fällen der Untätigkeitsklage nach § 88 SGG, durch Zeitablauf zulässig.
2. Dem Kläger kann unter den Umständen des Einzelfalls zur Erhebung der Verzögerungsrüge eine besondere Prüfungs- und Überlegungsfrist einzuräumen sein, mit dem Ergebnis, dass auch eine etwa zweieinhalb Monate nach Inkrafttreten des ÜberlVfRSchG erhobene Rüge noch als unverzüglich iS des Art 23 S 2 ÜberlVfRSchG zu werten ist.
3. Ist das sozialgerichtliche Verfahren bei Inkrafttreten des ÜberlVfRSchG bereits in einer Instanz abgeschlossen gewesen und wurde in der weiteren Instanz die Verzögerungsrüge nach Art 23 S 2 ÜberlVfRSchG nicht unverzüglich erhoben, so beurteilt das Entschädigungsgericht in einer Gesamtschau die abgeschlossene Instanz sowie die Verfahrensdauer nach der nicht unverzüglichen Verzögerungsrüge.
4. Ein Entschädigungsanspruch kann zu verneinen sein, wenn der Kläger für die lange Dauer des sozialgerichtlichen Verfahrens (hier durch unbegründete Befangenheitsanträge, umfangreiche und ungeordnete Schriftsätze sowie zahlreiche Bezugnahmen auf andere Verfahren, die in keinem Zusammenhang mit dem Ausgangsverfahren stehen) eine erhebliche, wenn nicht sogar die alleinige Verantwortung trägt.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist, ob die Klägerin Anspruch auf Entschädigung wegen einer unangemessenen Dauer des Verfahrens vor dem Sozialgericht Gotha mit dem Aktenzeichen S 2 KA 3535/07 hat. Unter diesem Aktenzeichen wurden drei Klageverfahren (Az.: S 2 KA 3535/07, S 2 KA 1066/09 und S 2 KA 919/10) verbunden.
Die Klägerin ist zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Sie führt seit Jahren verschiedene Rechtsstreitigkeiten gegen die K..
Das Verfahren S 2 KA 3535/07 hat folgenden Verfahrenslauf genommen:
Am 5. September 2007 hat die Klägerin beim Sozialgericht Gotha Klage wegen einer Erhöhung der individuellen Punktzahlen nach Leitzahlen 602 a/b und 605 a/b des Honorarverteilungsmaßstabes im Rahmen eines Antragsverfahrens für die Quartale II/05 und III/05 erhoben. Streitgegenständlich waren der Bescheid der K. vom 26. Januar 2006, das II. Quartal 2005 betreffend, und der Bescheid der K. vom 22. März 2006, das III. Quartal 2005 betreffend, in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. August 2007. Das Verfahren wurde beim Sozialgericht Gotha unter dem Aktenzeichen S 7 KA 3535/07 (und nunmehr S 2 KA 3535/07) eingetragen.
Bereits mit Klageerhebung beantragte sie die “Zusammenlegung„ des vorliegenden Verfahrens mit dem Verfahren L 4 KA 865/06 (einem Berufungsverfahren beim Thüringer Landessozialgericht).
Mit Verfügung vom 10. September 2007 hat das Sozialgericht der K. die Klageschrift mit der Bitte um Äußerung und Aktenübersendung übersandt. Die Verwaltungsakten sind am 8. Oktober 2007 beim Sozialgericht eingegangen.
Am 20. Dezember 2007 hat die K. beantragt, die Klage abzuweisen. Im Rahmen der Klageerwiderung hat die K. darauf hingewiesen, dass das Thüringer Landessozialgericht mit Urteil vom 5. Dezember 2007 in dem Verfahren L 4 KA 865/06 (nach dem Antrag der Klägerin sollte das Sozialgericht diese Berufung mit dem erstinstanzliche Verfahren “zusammengelegen„) die Berufung zurückgewiesen hat. Gegenstand der Berufung war die Rechtmäßigkeit des Praxisbudgets der Klägerin.
Mit Beschluss vom 10. Januar 2008 hat das Sozialgericht den Streitwert vorläufig auf 5.000 Euro festgesetzt.
Auf Anfr...