Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Arzneimittellieferungsvertrag. Unterlassung werbender Maßnahmen der Krankenkasse gegenüber den Versicherten zugunsten einer Versandapotheke
Orientierungssatz
1. Ein Mitgliedsverband der Spitzenorganisation der Apotheker kann nach § 129 Abs 5 SGB 5 mit den Landesverbänden der Krankenkassen Arznei- und Hilfsmittellieferungsverträge schließen. Dabei können Abschläge auf den Abgabepreis des pharmazeutischen Unternehmers und Preisspannen der Apotheken vereinbart werden (vgl BSG vom 17.1.1996 - 3 RK 26/94 = BSGE 77, 194 = SozR 3-2500 § 129 Nr 1.
2. Vereinbaren die Partner eines solchen Vertrags, dass die Versicherten oder Vertragsärzte weder von den Apotheken zu Lasten der Krankenkassen noch von den Krankenkassen zugunsten bestimmter Apotheken oder Lieferanten beeinflusst werden dürfen, so hat eine Krankenkasse jedes Herantreten an ihre Versicherten zu unterlassen, das mit dem ersichtlichen Ziel vorgenommen wird, sie zum Bezug von Medikamenten bei einer bestimmten Apotheke zu veranlassen. Dies gilt gegenüber der Krankenkasse unabhängig davon, ob sie unmittelbar am Vertragsschluss beteiligt war oder Mitglied des vertragsschließenden Landesverbandes ist. Ausreichend ist, dass die Krankenkasse der Kassenart nach dem vertragsschließenden Verband entspricht.
3. Enthält die getroffene vertragliche Regelung keine Anhaltspunkte, dass die Vertragspartner bestimmte Apotheken ausschließen wollten, sondern geht es allein um die Festlegung der Neutralitätspflicht der Vertragspartner, so wird die vereinbarte Neutralitätspflicht auch durch Bevorzugung einer ausländischen Versandapotheke verletzt.
4. Die Übersendung einer Werbebroschüre durch eine Krankenkasse stellt eine Beeinflussung von deren Versicherten dar. Insbesondere hat ein Hinweis auf ein Bonussystem Anlockwirkung. Damit stellt sie eine unzulässige Werbemaßnahme dar, die den Mitgliedsverband der Spitzenorganisation der Apotheker bei bestehender Wiederholungsgefahr zur Unterlassung sowie zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung berechtigt.
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Gotha vom 20. Januar 2009 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob es die Beklagte zu unterlassen hat, ihre Mitglieder über die Inanspruchnahme einer Versandapotheke zu informieren.
Der Kläger ist die für die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen der Apotheken maßgebliche Organisation in Thüringen im Sinne von § 129 Abs. 5 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V). Die Beklagte ist eine Betriebskrankenkasse mit Sitz in F. am Main. Der Kläger schloss am 1. September 2003 mit den Landesverbänden der Primärkassen, unter anderem auch dem BKK-Landesverband Ost, Landesrepräsentanz T., einen Arznei- und Hilfsmittellieferungsvertrag (AHLV) ab. In diesem ist unter Ziffer 1.2. festgelegt, dass der Vertrag auch Rechtswirkungen für die Betriebskrankenkassen mit Sitz außerhalb Thüringens hat. Darüber hinaus bestimmt Ziffer 2.2.:
"Die Versicherten oder Vertragsärzte dürfen weder von den Apotheken zu Lasten der Krankenkassen noch von den Krankenkassen zugunsten bestimmter Apotheken/Lieferanten beeinflusst werden. Dies bezieht sich auch auf die Zuweisung von Verordnungen an einzelne Apotheken/Lieferanten"
Mit Schreiben von Mai 2006 teilte die Beklagte einer unbekannten Anzahl ihrer Mitglieder unter der Überschrift "Arzneimittel bequem, sicher und preiswert bestellen" u. a. Folgendes mit:
" ...Deshalb haben wir mit unserem Partner, der E. A. V. für Sie attraktive Vorteile vereinbart. Mit dem Bonussystem der E. A. V. sparen Sie bei jeder Bestellung, etwa bei einem verschreibungspflichtigen Medikament auf Kassenrezept mindestens 2,50 EUR und maximal 15,00 EUR. Sie erhalten diesen Bonus auch, wenn Sie von der Zuzahlung befreit sind. Damit können Sie ihre finanziellen Belastungen für Medikamente deutlich reduzieren ...Selbstverständlich stehen Ihnen auch weiterhin die Apotheken vor Ort zur Verfügung ..."
Dem Schreiben war eine Informationsbroschüre der E. A.V. beigefügt.
Mit Schreiben vom 6. Juni 2006, forderte der Kläger die Beklagte unter Hinweis auf den AHLV erfolglos zur Unterlassung und zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung auf. Im Juni 2008 versandte die Beklagte wiederum an eine unbekannte Anzahl ihrer Mitglieder Werbebroschüren der niederländischen Versandapotheke E. A. V. und warb in einem Begleitschreiben unter der Überschrift "Die Dreifach-Garantie der E. A. V.: günstig, sicher und bequem" u. a. für einen "persönlichen Bonus", den die Versicherten bei dieser Apotheke auf zuzahlungspflichtige Arzneimittel sowie frei verkäufliche Produkte erhalten. Im Februar 2012 übersandte die Beklagte erneut einen Infobrief an ihre Versicherten mit dem Hinweis auf den Bezug von Arzneimitteln bei der E. A. V ...
Mit seiner am 26. September 2006 vor dem Sozialgericht Gotha (SG) erhobenen Klage...