Entscheidungsstichwort (Thema)

Rente wegen Berufs- bzw Erwerbsunfähigkeit. Auswirkungen einer Carbonatintoxikation auf die rentenrechtliche Leistungsfähigkeit. Verwertbarkeit eines nicht in Auftrag gegebenen Gutachtens im sozialgerichtlichen Verfahren

 

Leitsatz (amtlich)

1. Es ist nicht erweislich, dass eine akute und einmalige Carbonatintoxikation Auswirkungen auf die rentenrechtliche Leistungsfähigkeit eines Klägers hat.

2. Das Gutachten eines nicht zum Sachverständigen ernannten Arztes kann nicht als Sachverständigengutachten verwendet werden (vgl BSG vom 18.9.2003 - B 9 VU 2/03 B = SozR 4-1750 § 407a Nr 1 und LSG Erfurt vom 3.3.2003 - L 6 B 25/02 SF).

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Gotha vom 2. Juli 2002 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.

Der 1967 geborene Kläger erlernte von 1984 bis 1986 den Beruf des Facharbeiters für Qualitätskontrolle (Zeugnis über die Berufsausbildung vom 15. Juli 1986) und war bis 1988 in diesem Beruf tätig. Danach arbeitete er als Schlosser bzw. Lagerverantwortlicher und von Juli 1991 bis April 1993 auch als Baustoffverkäufer. Vom 27. September bis 31. Dezember 1993 war er als Hilfsarbeiter (Lackierer und Grundierer) bei der Tischlerei P. N. in B. tätig. Dort hatte er nach eigenen Angaben am 22. Oktober 1993 Fensterrahmen mit einer Grundierung zu besprühen. Dabei sei es zu einer Vergiftung gekommen. Anschließend war der Kläger vom 23. bis 25. Oktober 1993 im Kreiskrankenhaus “Chr. W. H.„ in stationärer Behandlung (Diagnose im Arztbrief vom 1. Februar 1994: Verdacht auf Gastritis nach Ammoniakinhalation). Seitdem ist der Kläger arbeitunfähig erkrankt. Er bezieht eine unbefristete Verletztenrente von der Holz-Berufsgenossenschaft bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 100 v.H.

Der Kläger stellte im Juli 1996 einen Rentenantrag. Vom 2. Oktober bis 13. November 1996 absolvierte er auf Kosten der Beklagten eine stationäre medizinische Rehabilitationsmaßnahme in der B.-Klinik S. Die Entlassung erfolgte ausweislich des Entlassungsberichtes (Prof. Dr. P. und Dipl.-Med. K.) vom 22. November 1996 als arbeitsfähig und leistungsfähig für mittelschwere vollschichtige Arbeiten ohne besonderen Zeitdruck z.B. durch Akkord oder Fließband (Diagnosen: neurotische Entwicklung bei Zustand nach Carbamatintoxikation 1993 und psychosexueller Entwicklungsrückstand).

Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 13. Januar 1997 die Bewilligung einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit bzw. Berufsunfähigkeit ab. Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 22. August 1997).

Auf die Klage hat das Sozialgericht Nordhausen diverse ärztliche Befundberichte und Krankenhausunterlagen beigezogen sowie ein Sachverständigengutachten des Prof. Dr. F. vom 15. August 2001 eingeholt. Dieser hat ohne Rücksprache mit dem Sozialgericht ein neuropsychologisches Gutachten des Dr. H. vom 20. Mai 2001 in Auftrag gegeben und dem Sozialgericht übermittelt. Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle hat daraufhin dem Sachverständigen mitgeteilt, die Entschädigung des Gutachtens des Dr. H. komme nicht in Betracht. Nach dem Gutachten des Prof. Dr. F. leidet der Kläger an hirnorganischen Funktionsstörungen im Sinne einer toxischen Enzephalopathie nach Inhalation der Mischung von Lösungsmitteln und Carbamat. Er könne nur noch leichte körperliche Arbeiten von ein bis zwei Stunden pro Tag verrichten. Vermutlich werde der Kläger Sortierarbeiten an einem Arbeitsplatz durchführen können, der selbstbestimmte und jederzeit unterbrechbare Arbeiten zulasse.

Ausweislich des im Auftrag der Holz-Berufsgenossenschaft erstellten und vom Sozialgericht beigezogenen Gutachtens der Prof. Dr. E. vom 27. April 2001 sind sowohl die zentralnervöse Symptomatik mit Schwindel und Sehstörungen als auch die körperliche Leistungsminderung mit Muskelschmerzen und “Muskelzittern„ auf eine Carbamatexposition zurückzuführen. Der Kläger sei nicht mehr in der Lage, einer geregelten Erwerbsarbeit nachzugehen. Die MdE betrage 100 v. H.

Mit Beschluss vom 18. Januar 2002 hat das Sozialgericht Nordhausen den Rechtsstreit an das Sozialgericht Gotha verwiesen, das die Klage mit Urteil vom 2. Juli 2002 abgewiesen hat.

Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Er trägt vor, sein Gesundheitszustand habe sich verschlechtert. Durch das Sachverständigengutachten des Prof. Dr. F. vom 15. August 2001 sei erwiesen, dass sein Leistungsvermögen durch eine unfallbedingte toxische Enzephalopathie und frontale Hirnatrophie auf eine bis zwei Stunden leichter Arbeit gemindert sei. Er leide aufgrund der Vergiftung mit Lösungsmitteln und Carbamat an umfangreichen Hirnfunktionsstörungen. Dieser Befund werde durch ärztliche Unterlagen u.a. den Arztbrief des praktischen Arztes Fa. vom 1. März 1998, das Gutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. Fi. ...

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