Leitsatz (amtlich)

1. Eine Verurteilung wegen eines Verstoßes nach § 19 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StVO macht grundsätzlich Feststellungen dazu erforderlich, wie lange rotes Blinklicht gegeben wurde. Dies muss jedenfalls dann gelten, wenn an einem beschrankten Bahnübergang vor Schließen der Schranken das Blinklicht angezeigt wird und sich der Verkehrsverstoß vor dem Beginn des Schließens der Schranke ereignet.

2. Ein absolutes Gebot zum Anhalten besteht mit dem Aufleuchten des roten Blinklichts an einem Bahnübergang nur dann, wenn der Fahrer bei mäßiger Geschwindigkeit und mittlerer Bremsverzögerung von 4 Metern pro Sekunde noch vor dem Andreaskreuz gefahrlos anhalten kann.

 

Normenkette

StVO § 19 Abs. 2 S. 1 Nr. 2

 

Verfahrensgang

AG Hildburghausen (Entscheidung vom 30.04.2010; Aktenzeichen 330 Js 2581/10 1 Owi)

 

Tenor

1. Das Urteil des Amtsgerichts Hildburghausen vom 30.04.2010 wird mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

2. Die Sache wird zu neuer Prüfung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht Hildburghausen zurückverwiesen.

 

Gründe

I. Mit Bußgeldbescheid der Thüringer Polizei - Zentrale Bußgeldstelle - vom 06.11.2009 wurde gegen die Betroffene wegen Überquerens eines Bahnübergangs unter Verstoß gegen die Wartepflicht obwohl rotes Blinklicht gegeben wurde, ein Bußgeld in Höhe von 240 € festgesetzt sowie unter Beachtung der Wirksamkeitsregel nach § 25 Abs. 2a StVG ein Fahrverbot von einem Monat angeordnet. Der Bußgeldbescheid wurde der Betroffenen am 11.11.2009 zugestellt. Mit Schriftsatz vom 11.11.2009, eingegangen bei der Zentralen Bußgeldstelle am 12.11.2009, legte der Verteidiger der Betroffenen form- und fristgerecht Einspruch ein.

Mit Urteil des Amtsgerichts Hildburghausen vom 30.04.2010 wurde gegen die Betroffene wegen der im Bußgeldbescheid bezeichneten Tat eine Geldbuße in Höhe von 100 € festgesetzt sowie ein Fahrverbot von einem Monat angeordnet. Das Amtsgericht bestimmte, dass das Fahrverbot erst wirksam wird, wenn der Führerschein nach Rechtskraft der Bußgeldentscheidung in amtliche Verwahrung gelangt, spätestens jedoch mit Ablauf von 4 Monaten seit Eintritt der Rechtskraft. Das Urteil wurde dem Verteidiger der Betroffenen am 31.05.2010 zugestellt.

Mit am 07.05.2010 beim Amtsgericht Hildburghausen eingegangenem Schriftsatz des Verteidigers hat die Betroffene Rechtsbeschwerde eingelegt und diese mit Schriftsatz des Verteidigers vom 17.06.2010 begründet.

Die Thüringer Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Stellungnahme vom 05.07.2010 beantragt, die Rechtsbeschwerde als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.

II. Die Rechtsbeschwerde ist form- und fristgerecht eingelegt (§§ 79 Abs. 3 OWiG, 241 StPO) und form- und fristgerecht begründet (§§ 79 Abs. 3 OWiG, 344, 345 StPO) worden.

2. Die Rechtsbeschwerde rügt die Unvollständigkeit der getroffenen Feststellungen und damit die Verletzung materiellen Rechts.

Die Rechtsbeschwerde rügt mit Recht, dass die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils den Schuldspruch wegen einer Ordnungswidrigkeit nach §§ 19 Abs. 2, 49 StVO nicht tragen, weil die getroffenen Feststellungen unzureichend sind.

Eine Verurteilung wegen eines Verstoßes nach § 19 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StVO macht grundsätzlich Feststellungen dazu erforderlich, wie lange rotes Blinklicht gegeben wurde. Dies muss jedenfalls dann gelten, wenn an einem beschrankten Bahnübergang vor Schließen der Schranken das Blinklicht angezeigt wird und der Verkehrsverstoß sich vor dem Beginn des Schließens der Schranke ereignet.

Bei einem beschrankten Bahnübergang, wie vorliegend, hat das zusätzliche Blinklicht den Zweck, den Verkehr auf das bevorstehende Schließen der Schranke hinzuweisen. Wenn ein Aufleuchten des Blinklichts dem Senken der Schranke vorgeschaltet ist und damit eine zusätzliche Sicherung geschaffen ist, um ein rechtzeitiges Anhalten des Straßenverkehrs vor dem Bahnkreuz zu gewährleisten, kann ein Kraftfahrer darauf vertrauen, dass ihm beim plötzlichen Aufleuchten des roten Blinklichts noch die beim Gelblicht einer Lichtzeichenanlage übliche Zeit von 3 Sekunden zum Anhalten vor dem Andreaskreuz zur Verfügung steht (vgl. OLG Köln VRS 58, 455, 456 m.w.N.).

Deshalb war es insoweit geboten, konkrete Feststellungen zum zeitlichen Ablauf zu treffen. Das Urteil führt bei den ausdrücklichen Sachverhaltsfeststellungen aber lediglich aus, das Blinklicht sei "schon etwas länger" angewesen. Der Zeuge P wird mit den Worten zitiert, das Blinklicht habe "nur kurz geblinkt". Eine konkrete Aussage des Zeugen K wird im Urteil nicht wiedergegeben. Damit trifft das Amtsgericht über die Dauer bzw. die Mindestdauer des Aufleuchtens des roten Blinklichts keine konkrete Aussage. Zwar besteht mit dem Aufleuchten des roten Blinklichts an einem Bahnübergang ein absolutes Gebot zum Anhalten. Dies gilt jedoch nur dann, wenn der Fahrer bei mäßiger Geschwindigkeit und mittlerer Bremsverzögerung von 4 Metern pro Sekunde noch vor dem Andreaskreuz gefahrlos anhalten kann (vgl. OLG Schleswig DAR 1985...

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