Entscheidungsstichwort (Thema)
Unterhaltsanspruch des volljährigen Kindes; Verwertung des eigenen Vermögensstammes zur Deckung des Ausbildungsunterhalts unvernünftiger Vermögensverbrauch
Leitsatz (amtlich)
1. Ein volljähriges Kind hat zur Deckung seines Unterhalts vorrangig seinen Vermögensstamm zu verwerten, bevor es seine Eltern in Anspruch nimmt. Jedoch muss dem Volljährigen ein Notgroschen verbleiben, wenn nicht auf Seiten des Unterhaltsschuldners enge wirtschaftliche Verhältnisse vorliegen. Das volljährige Kind muss somit auch die Substanz seines Vermögens einsetzen. Dabei ist das anzurechnende Vermögen um einen Schonbetrag zu bereinigen, der etwa in Anlehnung an den "Notgroschen" des Sozialhilferechts festzusetzen ist (§ 12 SGB II).
2. Inwieweit ein volljähriges Kind sein Vermögen für die Ausbildung einsetzten muss, ist nach einer umfassenden Zumutbarkeitsabwägung zu entscheiden, die alle bedeutsamen Umstände und insbesondere auch die Lage des Unterhaltsverpflichteten berücksichtigt.
3. Die in Kenntnis des Ausbildungsunterhalts erfolgten Ausgaben (Sprachreise, Computer), die zu einer Verringerung dieses Vermögens geführt haben, sind mit Blick auf das zum Zeitpunkt der Anschaffung vorhandene Vermögen der Antragstellerin und die wirtschaftlichen Verhältnisse der Eltern gerechtfertigt, da sie der Ausbildung dienten.
Normenkette
BGB § 1602 Abs. 2, § 1603 Abs. 2 S. 2, § 1610 Abs. 2; SGB 2 § 12 Abs. 2 Nr. 1; BAföG § 29 Abs. 1 Nr. 1
Verfahrensgang
AG Gera (Beschluss vom 05.05.2015; Aktenzeichen 6 F 545/13) |
Tenor
1. Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin vom 5.6.2015 wird der Beschluss des AG - Familiengericht - Gera vom 5.5.2015, Az. 6 F 545/13, wie folgt abgeändert:
Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, rückständigen Unterhalt in Höhe von 2.619,00 EUR für den Zeitraum Januar 2013 bis September 2013 zu zahlen sowie laufenden Unterhalt in Höhe von 254 EUR ab Oktober 2013 bis Dezember 2014, 253 EUR ab Januar 2015 bis Dezember 2015 und 278,00 EUR ab Januar 2016 bis spätestens zum dritten eines jeden Monats, zu zahlen, abzüglich geleisteter Zahlungen von 20 × 150 EUR, weiterer 3.000 EUR sowie 240 EUR.
2. Die weiter gehende Beschwerde und der weiter gehende Antrag werden zurückgewiesen.
3. Von den Kosten des Verfahrens vor dem AG tragen die Antragsgegnerin 85 % und die Antragstellerin 15 %.
4. Von den Kosten des Rechtsmittelverfahrens haben die Antragsgegnerin 75 % und die Antragstellerin 25 % zu tragen.
5. Der Verfahrenswert für das Verfahren vor dem AG wird auf 5.148 EUR festgesetzt.
6. Der Verfahrenswert der Beschwerde wird auf 1.608 EUR festgesetzt.
7. Der Verfahrenskostenhilfeantrag der Antragstellerin wird zurückgewiesen.
Gründe
I. Die am 23.7.1994 geborene Antragstellerin nimmt ihre Mutter auf rückständigen und laufenden Ausbildungsunterhalt zur Finanzierung ihres Jurastudiums in Anspruch, nachdem sie die Antragsgegnerin am 30.1.2013 zur Auskunft über ihr Einkommen aufgefordert hatte.
Von Januar 2013 bis einschließlich September 2013 lebte die Antragstellerin im Haushalt des Vaters. Sie hat im Juli 2013 ihr Abitur bestanden und zum Wintersemester 2013/14 ein Studium der Rechtswissenschaften in A. aufgenommen.
Am 1.10.2013 hat sie in A. eine eigene Wohnung mit Mietkosten von 395 EUR (295 EUR + 100 EUR Betriebskosten) bezogen. Nach Umzug in eine andere Wohnung verminderten sich Wohnkosten ab 1.7.2014 auf 352,80 EUR und ab 1.8.2015 auf 218,00 EUR.
Anfang 2011 haben die Antragstellerin und ihr Bruder von der Urgroßmutter 25.532,86 EUR geerbt. Der Betrag wurde dem Konto der Antragstellerin gutgeschrieben. Davon ließ sie ihrem Bruder insgesamt 12.766,43 EUR zukommen, indem sie am 21.9.2012 10.000 EUR und am 1.10.2012 1.766,43 EUR auf sein Konto sowie 1.000 an ihren Vater überwies. Bis zum Abschluss des Abiturs am 1.8.2013 belief sich der Kontostand ihres Kontos bei der ING DiBa auf 11.070 EUR.
Die Antragsgegnerin hat auf ihren Pflichtteilsanspruch gegen die Antragstellerin in Höhe von 3.125 EUR verzichtet.
Die Eltern der Antragstellerin sind Berufsrichter. Die Antragsgegnerin bewohnt ein Eigenheim mit einem Wohnvorteil von 600 EUR/Monat. Sie ist gegenüber dem minderjährigen Kind F. M., geb. 24.12.1998, zur Zahlung eines monatlichen Unterhalts von 556,00 EUR verpflichtet. Ihre Einkünfte wurden im Verlauf des Verfahrens mit 3.786,73 EUR unstreitig gestellt. Der Kindesvater hat aus den Einkünften 2012 und 2013 ein durchschnittliches Einkommen von 3.927,00 EUR erzielt.
Die Antragsgegnerin hat an die Antragstellerin von Oktober 2013 bis Mai 2015 monatlich 150 EUR Kindesunterhalt gezahlt (20 × 150 EUR). Am 2.6.2015 hat sie 3.000 EUR und 240 EUR im September 2015 gezahlt.
Die Antragstellerin hat vorgetragen, zur Verwendung des ererbten Vermögens für Zwecke der Ausbildung sei eine Gesamtabwägung erforderlich. Hierbei sei zu berücksichtigen, dass die Urgroßmutter die Urenkel als Erben eingesetzt habe. Dies sei erfolgt, um den Urenkeln freigiebig etwas zuzuwenden, nicht um die Enkel von ihren Unterhaltspflichten zu entlasten.
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