Leitsatz (amtlich)

1. Die Rechtskraft der die Unterbringung im Maßregelvollzug anordnenden Entscheidung steht einer Erledigungserklärung des Strafvollstreckungsgerichts wegen Fehleinweisung dann nicht entgegen, wenn aus tatsächlichen Gründen die Voraussetzungen einer Unterbringung von Anfang an nicht vorgelegen haben (Anschluss OLG Frankfurt StV 2007, 430f.). Dies sind die Fälle der Fehleinweisung aufgrund einer fehlerhaften Diagnose, in denen sich im Vollstreckungsverfahren zweifelsfrei ergibt, dass der psychische Zustand des Untergebrachten im Strafverfahren falsch eingeschätzt worden war.

2. Bei einer 'von Anfang an' gegebenen Fehleinweisung tritt die gesetzliche Führungsaufsicht nach § 67d Abs. 6 Satz 3 StGB nicht ein (Anschluss OLG Dresden NStZ 2008, 630, 631 und Bestätigung der Rechtsprechung des Senats NStZ 2010, 217 f.).

3. Eine Entscheidung nach § 275a Abs. 5 Satz 2 StPO i.V.m. § 66b Abs. 3 StGB - Prüfung des Erlasses eines Unterbringungsbefehls hinsichtlich einer nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung - setzt einen Antrag der Staatsanwaltschaft voraus.

 

Normenkette

StGB § 66b Abs. 3, § 67d Abs. 6 S. 1, 2; StPO § 275a Abs. 5 S. 2

 

Verfahrensgang

LG Mühlhausen (Entscheidung vom 10.02.2010; Aktenzeichen 10 StVK 5/08)

 

Tenor

1. Der Beschluss des Landgerichts Mühlhausen vom 10.02.2010 wird aufgehoben.

2. Die Unterbringung des Beschwerdeführers in einem psychiatrischen Krankenhaus ist erledigt.

3. Führungsaufsicht tritt nicht ein.

4. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der dem Beschwerdeführer hierdurch erwachsenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.

 

Gründe

I. Durch Urteil des Landgerichts Erfurt vom 01.02.2007, rechtskräftig seit dem 09.02.2007, wurde die Unterbringung des Beschwerdeführers in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Nach den Gründen dieses Urteils hatte der Beschwerdeführer am 01.07.2006 den Tatbestand einer versuchten schweren sexuellen Nötigung in Tateinheit mit Körperverletzung (§§ 177 Abs. 1 Ziff. 1, Abs. 3 Ziff. 2, 223, 22, 23, 52 StGB) begangen im Zustand der Schuldunfähigkeit gem. § 20 StGB, verwirklicht.

Der Beschwerdeführer ist seit dem 01.02.2007, zunächst aufgrund eines Unterbringungsbefehls des Landgerichts Erfurt vom selben Tage, im Maßregelvollzug im Ö gGmbH untergebracht.

Vor der hier getroffenen Entscheidung hatte letztmalig die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Mühlhausen am 28.01.2009 über die Fortdauer der Unterbringung entschieden.

Auf Antrag der Staatsanwaltschaft Erfurt vom 09.12.2009 hat die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Mühlhausen nach Stellungnahme des Ö gGmbH sowie mündlicher Anhörung des Beschwerdeführers in Anwesenheit des Verteidigers und eines Vertreters des Klinikums mit Beschluss vom 10.02.2010 die Fortdauer der Unterbringung in ein psychiatrisches Krankenhaus angeordnet.

Gegen den dem Verteidiger des Beschwerdeführers am 25.03.2010 zugestellten Beschluss legte der Beschwerdeführer mit am 31.03.2010 beim Landgericht Mühlhausen eingegangenem Schriftsatz seines Verteidigers vom selben Tage sofortige Beschwerde ein.

Die Thüringer Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Stellungnahme vom 03.05.2010 beantragt, die sofortige Beschwerde als unbegründet zu verwerfen.

Der Senat hat mit Beschluss vom 21.06.2010 ein weiteres schriftliches psychologisch-psychiatrisches Sachverständigengutachten zur Frage eingeholt, ob die Voraussetzungen für die Unterbringung des Beschwerdeführers in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht (mehr) vorliegen.

Nach Vorlage des Gutachtens hat der Verteidiger des Beschwerdeführers mit Schriftsatz vom 02.09.2010 beantragt, die Erledigung der Maßregel gem. § 67d Abs. 6 Satz 1 StGB auszusprechen.

Die Thüringer Generalstaatsanwaltschaft hat nach Kenntnis des Gutachtens des Sachverständigen Dr. S keinen Antrag gestellt.

II. Die sofortige Beschwerde ist gem. §§ 304, 463 Abs. 1, Abs. 3, 454 StPO statthaft, sie ist form- und fristgerecht eingelegt worden und damit zulässig.

Die sofortige Beschwerde des Untergebrachten hat Erfolg, da die Voraussetzungen für eine Erledigung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 67d Abs. 6 Satz 1 StGB gegeben sind.

1. Nach der gesetzlichen Regelung des § 67d Abs. 6 StGB ist die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus für erledigt zu erklären, wenn feststeht, dass die Voraussetzungen der Maßregel nicht mehr vorliegen oder die weitere Vollstreckung der Maßregel unverhältnismäßig wäre. Ausweislich der Begründung des Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung (BT-Drs. 15/2887 S. 10/14) hat die Regelung des § 67d Abs. 6 StGB den von den Strafvollstreckungsgerichten bereits zuvor im Wege der Rechtsfortbildung und - im Wesentlichen - in analoger Anwendung des § 67c Abs. 2 Satz 5 StGB entwickelten Rechtssatz übernommen, wonach bei nachträglichem Wegfall oder später festgestelltem anfänglichen Fehlen der gesetzlichen Voraussetzungen des § 63 StGB die Unterbringung erledigt ist und nicht weiter vollstreckt werden darf...

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