Leitsatz (amtlich)

  • 1.

    Verweist die Vergabekammer ein Vergabeprüfungsverfahren wegen örtlicher Unzuständigkeit an eine andere Vergabekammer, so ist dieser Beschluss bindend, soweit er nicht auf offensichtlicher Willkür beruht ( §§ 83 S. 1 VwGO, 17a Abs. 2 S. 3 GVG bzw. § 281 Abs. 2 S. 4 ZPO analog).

  • 2.

    Das Diskriminierungsverbot, das den Auftraggeber verpflichtet, europaweit alle Bewerber unabhängig von Nationalität, Herkunft und Firmensitz gleich zu behandeln (vgl. Art. 49 EGV, § 97 Abs. 2 GWB, § 4 Abs. 2 VOF), schließt als eine der zentralen Grundsätze des Vergaberechts auch den Schutz gegen versteckte und indirekte Benachteiligungen ausländischer Unternehmen bei der Auftragsvergabe ein (vgl. EuGH Urt. vom 27.10.2005; Az. C - 234/03 "Insalud" = VergabeR 2006, 63ff.).

  • 3.

    Geht ein Bieter politische Stellen seines Heimatstaates mit dem Ziel an, diese dazu bewegen, sich in einem laufenden Vergabeverfahren für eine Zuschlagserteilung an ein nationales Unternehmen zu verwenden, stellt dies eine Aufforderung zum Bruch des Diskriminierungsverbots und damit eine versuchte - grob rechtswidrige - Einflussnahme auf die Auftragsvergabe dar. Es spricht viel dafür, schon ein solches Verhalten als "schwere Verfehlung" im Sinne des § 11 Abs. 4 lit. c VOF zu werten.

  • 4.

    § 11 Abs. 4 lit. c VOF ist jedenfalls dann verletzt, wenn ein Bieter einen unlauteren Beeinflussungsversuch der vorgenannten Art auf "Insiderwissen" stützt, das aus ihm zugespielten Informationen über den Angebotsinhalt eines Mitbieters herrührt.

 

Verfahrensgang

Vergabekammer des Freistaats Thüringen (Entscheidung vom 19.06.2007; Aktenzeichen 360-4004.20-2029/2007-J)

 

Tenor

  • 1.

    Der Antrag, die aufschiebende Wirkung der sofortigen Beschwerde gegen den Beschluss der Vergabekammer des Freistaats Thüringen vom 19.06.2007 (Az.: 360-4004.20-2029/2007-J) bis zur Entscheidung des Senats über die sofortige Beschwerde zu verlängern ( § 118 Abs. 1 S. 3 GWB), wird zurückgewiesen.

  • 2.

    Die Entscheidung über die im Verfahren nach § 118 GWB entstandenen Mehrkosten bleibt der Hauptsacheentscheidung vorbehalten.

 

Gründe

I.

Die Antragstellerin bewirbt sich um den Zuschlag in einem europaweit ausgeschriebenen VOF-Verhandlungsverfahren, in dem nach vorausgegangener Präqualifikation derzeit noch drei Bewerber im Wettbewerb sind. Der Auftrag hat diverse Planungsleistungen bezüglich des sog. "Jagdbergtunnels" im Streckenbereich der Bundesautobahn A4 zwischen Jena und Magdala, insbesondere Objektplanung, Verkehrsanlagen und Ingenieurbauwerke der Leistungsphasen 8 und 9 sowie besondere Leistungen (u.a. Bauoberleitung, Bauüberwachung der Erd- und Streckenbauleistungen, Hang- und Böschungssicherungsarbeiten, Markierungs- und Beschilderungsarbeiten einschließlich des Rückbaus der alten BAB A4) zum Gegenstand. Die ausgeschriebene Maßnahme hat einen geschätzten Nettoauftragswert von rund 7 Mio. EUR.

Unstreitig ist, dass der Geschäftsführer der Beteiligten zu 1b), Dr.-Ing. .., am 16.02.2007 mit einem Vertreter der Thüringer Staatskanzlei über das laufende Vergabeverfahren sprach und dabei erklärte, dass nach seinen Informationen ein Ingenieurbüro den Zuschlag erhalten solle, das im Vergleich zur Antragstellerin ein um ca. 1 Mio. EUR teureres Angebot abgegeben habe. Zudem würden 75 % der Leistungen in Österreich erbracht. Er bat daher die Staatskanzlei um eine "Prüfung der Vergabe".

Am 08.03.2007 wies der Geschäftsführer Dr.-Ing. ... in einem Telefonat mit einem Mitarbeiter der Vergabestelle diesen darauf hin, dass er die o.g. Informationen von einem Herrn B. (Mitarbeiter eines Subunternehmers eines Mitbieters) erhalten habe. Dieser habe "jede Zahl" gekannt und gewusst, dass der Auftrag an den zweitplatzierten Bieter gehen solle.

Die Vergabestelle hat u.a. die vorgenannten Vorgänge zum Anlass genommen, die Antragstellerin wegen unlauteren und wettbewerbswidrigen Verhaltens ( § 4 Abs. 3 VOF) bzw. wegen einer schweren Verfehlung im Sinne des § 11 Abs. 4 lit. c VOF vom Wettbewerb auszuschließen.

Die Antragstellerin nimmt vergaberechtlichen Primärrechtsschutz in Anspruch. Sie wehrt sich gegen den Ausschluss ihres eigenen Angebots, da sie ein Fehlverhalten eines ihrer Mitarbeiter nicht erkennen könne.

Den ursprünglich bei der Vergabekammer des Bundes anhängig gemachten Nachprüfungsantrag hat diese wegen örtlicher Unzuständigkeit mit Beschluss vom 14.05.2007 an die Thüringer Vergabekammer verwiesen. Die Vergabekammer hat den Nachprüfungsantrag als unbegründet zurückgewiesen, weil der Ausschluss im Ergebnis zurecht erfolgt sei. Hinsichtlich der Begründung wird auf den angefochtenen Beschluss Bezug genommen.

Mit dem Rechtsmittel hält die Antragstellerin an ihrem erstinstanzlichen Rechtsschutzbegehren fest.

Sie beantragt in der Hauptsache,

die Vergabestelle zu verpflichten, den Ausschluss der Antragstellerin aus dem Vergabeverfahren rückgängig zu machen und bei der Zuschlagsentscheidung das Angebot der Antragstellerin zu berücksichtigen.

Im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens gem. § 118 Abs. 1 S. 3 GWB bea...

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