Entscheidungsstichwort (Thema)

Strafprozessrecht: Vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis

 

Leitsatz (amtlich)

›1. Beschließt das Erstgericht die Bestätigung der Beschlagnahme eines Führerscheins, ist dies als Entscheidung über die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis zu behandeln, wenn eine solche Maßnahme nach § 111a Abs. 4 StPO zu treffen war.

2. Fehlen nach dem festgestellten Sachverhalt des mit der Berufung angefochtenen erstinstanzlichen Urteils offensichtlich die Voraussetzungen für die Anordnung einer Maßregel nach § 69 StGB, ist eine vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis im Beschwerdeverfahren aufzuheben (hier: Feststellungen des amtsgerichtlichen Urteils tragen keinen dringenden Tatverdacht nach § 316 StGB).‹

3. Der neben dem festgestellten Blutalkoholwert erfolgte Nachweis von Drogenwirkstoffen im Blut des Angeklagten (hier: des rauschwirksamen Cannabisinhaltsstoffes Tetrahydrocannabinol sowie der rauschwirksamen Stoffwechselprodukte des THC 11 Hydroxy Tetrahydrocannabinol und Tetrahydrocannabinol-Carbonsäure) hat als solches keinen Aussagewert für das Vorliegen einer absoluten Fahruntüchtigkeit. Eine absolute Fahruntüchtigkeit nach Genuss von Drogen aufgrund eines positiven Wirkstoffspiegels im Blut ist nach dem gegenwärtigen Stand der Wissenschaft (noch) nicht zu begründen.

 

Verfahrensgang

LG Gera (Beschluss vom 27.01.2006; Aktenzeichen 579 Js 19934/05 - 2 Ns jug)

 

Gründe

I.

Durch Urteil des Amtsgerichts Jena vom 06.12.2005 wurde der Angeklagte wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr unter Einbeziehung des Urteils des Amtsgerichts - Jugendschöffengericht - Jena vom 05.10.2004 unter Auflösung der dort verhängten Rechtsfolge zu einer Einheitsjugendstrafe von 1 Jahr und 8 Monaten verurteilt. Die Entscheidung, ob die erkannte Jugendstrafe zur Bewährung ausgesetzt werden kann, wurde vorbehalten. Weiterhin wurde dem Angeklagten die Fahrerlaubnis entzogen, der Führerschein eingezogen und die Verwaltungsbehörde angewiesen, ihm vor Ablauf von weiteren 4 Monaten keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen.

Der Angeklagte legte gegen dieses Urteil Berufung ein und beantragte außerdem mit Schriftsatz vom 13.01.2006 im Wege der richterlichen Entscheidung gem. § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO die Herausgabe des am 14.05.2005 sichergestellten Führerscheins der Klassen A1, B, ML, ausgestellt am 27.04.2004 durch das Landratsamt _ an den Angeklagten.

Mit dem angefochtenen Beschluss vom 27.01.2006 bestätigte die 2. Strafkammer des Landgerichts Gera, welcher die Akten zwischenzeitlich zur Entscheidung über die Berufung des Angeklagten vorgelegt worden waren, "die durch Urteil des Amtsgerichts Jena vom 06.12.2006 ... erfolgte Beschlagnahme des Führerscheins des Angeklagten", da dieser nach derzeitiger Einschätzung der Berufungskammer eines Vergehens der fahrlässigen Trunkenheit im Verkehr gem. § 316 Abs. 1 und 2 StGB verdächtig sei. Auf die Begründung dieses Beschlusses und die in Bezug genommene Begründung des Urteils des Amtsgerichts Jena vom 06.12.2005 wird verwiesen.

Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde des Angeklagten vom 01.02.2006.

Die Thüringer Generalstaatsanwaltschaft hat mit Vorlage der Akten an den Senat am 20.02.2006 die Aufhebung des Beschlusses des Landgerichts Gera vom 27.01.2006 beantragt.

II.

Das Rechtsmittel ist begründet.

Die mit dem angefochtenen Beschluss ausgesprochene Bestätigung der Beschlagnahme des zunächst sichergestellten Führerscheins des Angeklagten, stellt sich als Entscheidung über die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis dar, denn eine solche war nach § 111a Abs. 4 StPO zu treffen (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 48. Aufl., § 111a Rn 15).

Durch den Senat war auf die Beschwerde deshalb zu prüfen, ob die Voraussetzungen des § 111a StPO vorliegen: Vorhandensein dringender Gründe, dass die Fahrerlaubnis nach § 69 StGB entzogen werden wird.

Entgegen der Auffassung im angefochtenen Beschluss sind vorliegend keine dringenden Gründe gegeben, die eine Maßregel nach § 69 StGB rechtfertigen. Zwar kommt es regelmäßig nicht in Betracht, vor dem Berufungsurteil den erstinstanzlich festgestellten Sachverhalt in anderer Weise zu würdigen als das Erstgericht. Dies gilt, es sei denn, es liegen neue Tatsachen und Beweismittel vor, zunächst für den Fall, dass das Erstgericht vom vorläufigen Entzug der Fahrerlaubnis abgesehen hat (vgl. BVerfG, NJW 1995, 124; Beschluss des Senats vom 23.01.2006, 1 Ws 25/06 m. w. N.). Bei einer Fallgestaltung wie der vorliegenden besteht eine Bindung des Berufungsgerichts, das über die Maßnahmen nach § 111a StPO zu entscheiden hat, an die Beurteilung durch das Erstgericht - und in der Folge für das Beschwerdegericht - dann nicht, wenn die Voraussetzungen für die Maßregelanordnung gem. § 69 StGB offensichtlich fehlen.

Davon ist hier auszugehen: Die Feststellungen des Urteils des Amtsgerichts Jena vom 06.12.2005 tragen eine Verurteilung wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr nach § 316 Abs. 1 und 2 StGB nicht.

Der beim Angeklagten festgestellte Blutalkoholwert von 1,05 %o liegt unterh...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge