Leitsatz (amtlich)

Die Abstandsmessung mittels des aus einem nachfahrenden Polizeifahrzeug betriebenen Messsystems ProViDa ist kein standardisiertes Messverfahren im Sinne der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Dies hat Konsequenzen für die richterliche Überzeugungsbildung und die Darstellung der Messung in den Urteilsgründen.

 

Normenkette

StPO §§ 261, 267; OWiG § 46 Abs. 1; StVO § 4 Abs. 1 S. 1

 

Verfahrensgang

AG Gera (Entscheidung vom 14.09.2009; Aktenzeichen 160 Js 10813/09 5 Owi)

 

Tenor

Das Urteil des Amtsgerichts Gera vom 14.09.2009 wird mit den getroffenen Feststellungen aufgehoben und die Sache zu neuer Prüfung und Entscheidung - auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde - an das Amtsgericht Gera zurückverwiesen.

 

Gründe

I. Wegen des Vorwurfs, der Betroffene habe als Fahrer des PKW mit dem amtlichen Kennzeichen N am 10.11.2008 um 11.24 Uhr auf der BAB 4 zwischen den Anschlussstellen Gera-Langenberg und Rüdersdorf, Fahrtrichtung Eisenach, bei einer Geschwindigkeit von 138 km/h den erforderlichen Abstand von 57,50 Metern zum vorausfahrenden Fahrzeug nicht eingehalten, sondern der Abstand habe 10 Meter und damit weniger als 2/10 des halben Tachowertes betragen, hat die Thüringer Polizei, Zentrale Bußgeldstelle Artern, gegen den Betroffenen eine Geldbuße in Höhe von 225 € festgesetzt und ein Fahrverbot für die Dauer von 2 Monaten angeordnet.

Auf den dagegen vom Betroffenen rechtzeitig eingelegten Einspruch hat das Amtsgericht gegen ihn in der Hauptverhandlung vom 14.09.2009 wegen Unterschreitens des erforderlichen Abstands (hier: weniger als 2/10 des halben Tachowertes) eine Geldbuße von 225 € sowie ein Fahrverbot von 2 Monaten verhängt und weiter angeordnet, dass das Fahrverbot erst wirksam werde, wenn der Führerschein nach Rechtskraft des Urteils in amtliche Verwahrung gelange, spätestens jedoch mit Ablauf von 4 Monaten seit Eintritt der Rechtskraft.

Gegen dieses Urteil hat der Betroffene am 16.09.2009 Rechtsbeschwerde eingelegt, die er, nachdem ihm das Urteil in vollständig abgefasster Form am 20.10.2009 zugestellt worden war, mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 18.11.2009, eingegangen beim Amtsgericht am selben Tage, mit der Verletzung formellen und materiellen Rechts begründet hat.

Zu der Rechtsbeschwerde hat die Thüringer Generalstaatsanwaltschaft am 24.02.2010 mit dem Antrag Stellung genommen, das angefochtene Urteil aufzuheben.

Mit Beschluss vom 02.03.2010 hat der Einzelrichter des Senats für Bußgeldsachen die Sache gem. § 80a Abs. 3 Satz 1 OWiG zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung dem Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen.

II. Die gem. § 79 Abs. 1 Nr. 2 OWiG statthafte und auch zulässige, insbesondere form- und fristgerechte eingelegte und ebenso begründete Rechtsbeschwerde hat in der Sache den tenorierten vorläufigen Erfolg.

Die Urteilsgründe tragen die Verurteilung des Betroffenen wegen eines fahrlässigen Verstoßes gegen §§ 4 Abs. 1 Satz 1, 49 Abs. 1 Nr. 4 StVO, 24 StVG nicht.

Die Gründe eines Urteils in Bußgeldsachen unterliegen zwar keinen hohen Anforderungen, sie müssen aber so beschaffen sein, dass dem Rechtsbeschwerdegericht die Nachprüfung einer richtigen Rechtsanwendung ermöglicht wird (Göhler, OWiG, 15. Aufl., § 71 Rn. 42).

Ein Urteil, das sich mit einer Geschwindigkeits- und Abstandsmessung befasst, muss grundsätzlich feststellen, auf welcher tatsächlichen Grundlage die Geschwindigkeitsfeststellung und die Abstandsmessung beruhen. Dazu gehören insbesondere Angaben darüber, ob die Messungen durch elektronische Aufzeichnungen oder durch Ablesen, durch stationäre Geräte oder aus einem fahrenden Fahrzeug erfolgten, wie lange gegebenenfalls die Verfolgungsstrecke und der Abstand des Polizeifahrzeuges zu dem verfolgten Fahrzeug waren, auf welche Fahrstrecke sich die Abstandsunterschreitung erstreckt hat und welcher Toleranzabzug bei der Feststellung der Geschwindigkeitsüberschreitung vorgenommen worden ist (OLG Hamm, Beschluss vom 04.12.2008, Az.: 3 Ss OWi 871/08, bei juris, m.w.N.).

Liegt ein standardisiertes Messverfahren vor, darf sich das Tatgericht bei der Feststellung und Darstellung der Beweisgründe im Urteil auf die Mitteilung des Messverfahrens und die - gegebenenfalls nach Abzug der Messtoleranzen - ermittelten Ergebnis-Werte der Messung, namentlich die ermittelten Zeit-, Geschwindigkeits- und Abstandswerte beschränken. Weiterer konkreterer Feststellungen bedarf es dann nicht (Senatsbeschluss vom 31.07.2008, Az.: 1 Ss 103/08, bei juris).

Die Abstandsmessung mit ProViDa ist indes kein standardisiertes Messverfahren im Sinne der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs.

Darunter ist ein durch Normen vereinheitlichtes (technisches) Verfahren zu verstehen, bei dem die Bedingungen seiner Anwendbarkeit und sein Ablauf so festgelegt sind, dass unter gleichen Voraussetzungen gleiche Ergebnisse zu erwarten sind (BGHSt 43, 277, 284). Dabei müssen nicht nur die Zulassungsbedingungen der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt, sondern auch die Bedienungsanleitung des Gerä...

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