Leitsatz (amtlich)
Der Senat schließt sich der Auffassung an, dass die Verwertbarkeit der Ergebnisse eines standardisierten Messverfahrens nicht von dessen nachträglicher Überprüfbarkeit anhand von aufzuzeichnenden, zu speichernden und an den Betroffenen auf Verlangen herauszugebenden Rohmessdaten abhängig ist, und durch die fehlende Reproduzierbarkeit der zum einzelnen Messwert führenden Berechnung weder der Anspruch auf ein faires Verfahren noch der auf eine effektive Verteidigung berührt wird.
Verfahrensgang
AG Erfurt (Entscheidung vom 04.07.2019; Aktenzeichen 64 OWi 741 Js 200898/19) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde wird auf Kosten des Betroffenen verworfen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Erfurt hat den Betroffenen mit Urteil vom 04.07.2019 wegen einer am 23.01.2019 begangenen Verkehrsordnungswidrigkeit der fahrlässigen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um 28 km/h zu einer Geldbuße von 110 € verurteilt.
Dagegen richtet sich der durch den Verteidiger mit Schriftsatz vom 10.07.2019 eingelegte und nach Zustellung des Urteils an den Betroffenen am 26.07.2019 mit Schriftsatz vom 12.08.2019 näher begründete Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde. Beide Schriftsätze, unter denen der erkennbar eingescannte und elektronisch reproduzierte Namenszug des Verteidigers aufgebracht ist, gingen unter Nutzung des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs (beA) ohne qualifizierte Signatur am 11.07. bzw. 13.08.2019 im elektronischen Postfach des Amtsgerichts Erfurt ein und wurden als Ausdrucke zur Akte genommen. Den jeweils vorgehefteten Eingangsblättern ist zu entnehmen, dass die genannten Schriftsätze auf dem Übermittlungsweg "beA" übermittelt wurden und absendende Person "D. R., ..." ist.
Mit dem Rechtsmittel rügt der Verteidiger die Verletzung von Verfahrensvorschriften und erhebt die allgemeine Sachrüge. Er macht insbesondere unter Verweis auf die vom Verfassungsgerichtshof des Saarlandes in dessen Urteil vom 05.07.2019 vertretene Rechtsauffassung geltend, dass das mit einem Geschwindigkeitsmessgerät TraffiStar S350 gewonnene Messergebnis wegen Vorliegens eines Beweisverwertungsverbotes unverwertbar sei.
Die Thüringer Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Zuschrift an den Senat vom 18.09.2019 beantragt, die Rechtsbeschwerde als unzulässig zu verwerfen.
Mit Beschluss vom 19.08.2020 hat der zuständige Einzelrichter die Rechtsbeschwerde zugelassen und die Sache zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung dem Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen.
II.
1.
Die gemäß § 79 Abs. 1 Nr. 2 OWiG statthafte Rechtsbeschwerde ist zulässig. Insbesondere wurde sie form- und fristgerecht im Sinne der §§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, 341 Abs. 1, 345 Abs. 2 StPO eingelegt und begründet.
a)
Gemäß § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG gelten für die Rechtsbeschwerde und das weitere Verfahren, soweit das OWiG nichts anderes bestimmt, die Vorschriften der StPO und des GVG über die Revision entsprechend. Gemäß § 341 Abs. 1 StPO muss die Rechtsbeschwerde bzw. der Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde (§ 80 Abs. 3 OWiG) demnach bei dem Gericht, dessen Urteil angefochten wird, zu Protokoll der Geschäftsstelle oder schriftlich eingelegt und gemäß § 345 Abs. 2 StPO bei diesem Gericht durch eine von einem Verteidiger oder einem Rechtsanwalt unterzeichnete Schrift oder zu Protokoll der Geschäftsstelle begründet werden.
Dem werden die am 11.07. und 13.08.2019 beim Amtsgericht Erfurt eingegangenen Schriftsätze des Verteidigers gerecht.
Für eine Fallgestaltung wie die vorliegende hat der Senat im Beschluss vom 05.03.2020, Az. 1 OLG 171 SsBs 95/19, ausgeführt:
"a) Ungeachtet der Übermittlung im elektronischen Rechtsverkehr (dazu sogleich) genügen die Schriftsätze bereits den allgemeinen Anforderungen an die Schriftform (vgl. dazu etwa BGH, Beschluss vom 26.03.1981 - 1 StR 206/80 -, juris, Rn. 5 ff.; KK-StPO/Gericke, 8. Aufl. 2019, StPO § 341 Rn. 11; BeckOK StPO/Wiedner, 35. Ed. 1.10.2019, StPO § 341 Rn. 19; MüKoStPO/Knauer/Kudlich, 1. Aufl. 2019, StPO § 341 Rn. 24) und die erforderliche Verteidigerunterschrift (vgl. dazu etwa KK-StPO/Gericke, a.a.O., § 345 Rn. 12, 17), da die jeweils als Ausdruck zur Akte genommenen Schriftsätze verkörperte Schriftstücke sind und von dem Verteidiger des Rechtsmittelführers herrühren, dessen Urheberschaft zweifelsfrei aus dem verwendeten Briefkopf und der aufgebrachten Unterschrift hervorgeht.
Dem steht nicht entgegen, dass es sich bei der Unterschrift des Verteidigers erkennbar um die elektronische Reproduktion einer eingescannten Unterschrift handelt. Aufgrund der aktuellen Praxis der Thüringer Justizverwaltung, im elektronischen Rechtsverkehr eingehende elektronische Dokumente während der Übergangszeit bis zur Einführung der elektronischen Akte auszudrucken und in Papierform verkörpert zur Akte zu nehmen, ist die hier erfolgte Übermittlung nicht anders zu bewerten, als bei der Nutzung eines von der Rechtsprechung als formwahrend anerkannten - ebenfalls nur mittels einer einges...