Entscheidungsstichwort (Thema)
VS der Verwirkung
Leitsatz (amtlich)
Bei Unterschreitung des Kindesunterhalts durch Vereinbarung um mehr als 20 % ist im Einzelfall zu prüfen, ob ein gegen § 1614 Abs. 1 BGB verstoßender Verzicht vorliegt.
Der Unterhaltsberechtigte verliert durch den Vollstreckungsverzicht nicht seinen Titel; ein (Teil-)Verzicht kann bei wiederkehrenden Leistungen temporär wirken. Dann wird eine spätere Vollstreckung nicht gehindert.
Zum Umstandsmoment führt der BGH (FamRZ 2004, 531) aus, dass bei guten Einkünften nicht ersichtlich ist, dass der Unterhaltspflichtige seine Lebensführung tatsächlich darauf ausgerichtet habe, von der Unterhaltsberechtigten nicht mehr in Anspruch genommen zu werden.
Normenkette
BGB §§ 242, 1614 Abs. 1
Verfahrensgang
AG Erfurt (Beschluss vom 22.05.2013; Aktenzeichen 34 F 157/12) |
Tenor
1. Die Beschwerde des Antragstellers wird zurückgewiesen.
2. Der Antragsteller hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
3. Der Beschwerdewert wird auf bis zu 3000 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Der Antragsteller hat die Antragsgegnerin im Wege des Vollstreckungsgegenantrages wegen Unzulässigkeit der Zwangsvollstreckung wegen Kindesunterhaltes aus der Urkunde des Jugendamtes der Stadt E. vom 7.8.2000 für den Zeitraum Oktober 2009 bis September 2010 in Anspruch genommen.
Die Antragsgegnerin ist am 2.9.1988 geboren und die leibliche Tochter des Antragstellers. Sie hat seit August 2009 eine Ausbildung zur staatlich geprüften Sozialassistentin absolviert und befindet sich noch in der Ausbildung zur "staatlich anerkannten Erzieherin" (1.8.2011 bis 31.7.2014).
Der Antragsteller hat sich durch Urkunde des Jugendamtes der Stadt Erfurt vom 7.8.2000 (Urkunden Reg. - Nr. 1299/2000) verpflichtet, an die Antragsgegnerin einen monatlichen Kindesunterhalt i.H.v. 582 DM, abzgl. des anteiligen Kindergeldes i.H.v. 135 EUR, zu zahlen. Dies entspricht monatlich 228,55 EUR. Der Antragsteller hat sich unter dem 14.10.2004 bereit erklärt, monatlich 277 EUR zu zahlen; die vereinbarte Unterhaltserhöhung ist aber nicht tituliert worden.
Der Antragsteller hat in der Vergangenheit an die Antragsgegnerin die nachfolgenden Unterhaltsbeträge gezahlt:
Oktober 2006: 300 EUR; November 2006 bis August 2008 je 150 EUR; Oktober und November 2008 je 150 EUR; Dezember 2008, Februar 2009, Mai 2009, Juni 2009, August und September 2009 je 100 EUR.
Die Antragsgegnerin hat mit Anwaltsschreiben vom 27.12.2011 gegen den Antragsteller einen monatlichen Unterhaltsanspruch i.H.v. 743,40 EUR ab Januar 2012 geltend gemacht.
Das AG Erfurt hat mit Versäumnisbeschluss vom 20.3.2012, zugestellt am 14.4.2012, die Vollstreckung aus der Unterhaltsurkunde des Jugendamtes der Stadt E. vom 7.8.2000, Reg.-Nr. 1299/2000 i.H.v. 228,55 EUR monatlich für unzulässig erklärt. Hiergegen richtet sich der Einspruch der Antragsgegnerin vom 20.4.2012.
Der Antragsteller hat vorgetragen, er habe mit der Antragsgegnerin im September 2006 eine Vereinbarung getroffen, wonach er ihr lediglich einen monatlichen Unterhalt i.H.v. 150 EUR für die Zeit ihres weiteren Schulbesuchs schulde.
Die Vereinbarung werde belegt und untermauert durch eine handschriftliche Übersicht der Zahlungen des Antragstellers an die Antragsgegnerin in dem Zeitraum von Oktober 2006 bis September 2009, die im Verfahren auf Unterhaltsabänderung der Antragsgegnerin durch ihre Bevollmächtigten mit Anwaltsschreiben vom 15.12.2010 überreicht wurde (Beweis: Aufzeichnung der Antragsgegnerin über Unterhaltszahlungen). Diese handschriftliche Übersicht sei durch die Antragsgegnerin gefertigt worden. Es sei ihre Handschrift (Bl. 10d A).
Gegen diese Zahlungen habe die Antragsgegnerin keinerlei Einwendungen erhoben. Die Antragsgegnerin habe die Vereinbarung nicht bestritten, die sie mit ihrem Vater im W. getroffen habe.
Ab Oktober 2009 sei der Antragsteller davon ausgegangen, dass die Antragsgegnerin sich nunmehr in einer Lehre befinde und Lehrlingsentgelt erhalte. Ein Lehrvertrag sei nicht vorgelegt worden.
Mit Anwaltsschreiben der Antragsgegnerin vom 27.10.2010 sei dem Antragsteller ein Ausbildungsvertrag zur "Staatlich geprüften Sozialassistentin" vorgelegt worden. Mit Schreiben des Antragstellers vom 4.1.2011 sei bzgl. der behaupteten Unterhaltsrückstände der Verwirkungseinwand erhoben sowie die Herausgabe des Vollstreckungstitels verlangt worden.
Hierauf hätten die Bevollmächtigten der Antragsgegnerin am 7.1.2011 geantwortet, dass aktuell kein Auftrag zur Zwangsvollstreckung vorliege. Am 10.6.2011 habe der Gerichtsvollzieher bei dem Antragsteller versucht, 2742,60 EUR Unterhalt für die Zeit von Oktober 2009 bis September 2010 zzgl. Zinsen und Kosten zu vollstrecken.
Nachforschungen beim Jugendamt der Stadt E. sowie eine dort genommene Akteneinsicht hätten auf Bl. 18 der Akte eine Schulbescheinigung der W.-G. Schule über die Schulzugehörigkeit der Antragsgegnerin gezeigt. Diese Bescheinigung datiere vom 11.9.2006. Zu diesem Zeitpunkt habe sich die Antragsgegnerin an das Jugendamt E. gewandt und um Neuberechnung de...