Leitsatz (amtlich)
Zum Strafklageverbrauch bei Einstellung des Strafverfahrens wegen des Vorwurfs der Nichtanmeldung und -abführung von Sozialversicherungsbeiträgen nach § 266a StGB in Bezug auf ein Bußgeldverfahren wegen Nichtzahlung des Mindestlohnes nach AEntG, wenn Gegenstand des Vorwurfs jeweils der zu wenig gezahlte Lohn und die auf den zuwenig gezahlten Lohn entfallenden Sozialversicherungsbeiträge sind.
Normenkette
AEntG § 5 Abs. 1 a.F.; OWiG § 84 Abs. 1; StPO §§ 153a, 264; StGB § 266a
Verfahrensgang
AG Erfurt (Entscheidung vom 27.04.2009; Aktenzeichen 340 Js 202459/08) |
Tenor
1. Das Urteil des Amtsgerichts Erfurt vom 27.4.2009 wird aufgehoben.
2. Das Verfahren wird eingestellt.
3. Die Staatskasse trägt die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen der Betroffenen.
Gründe
I. Mit dem angegriffenen Urteil vom 27.4.2009 wurde die Betroffene wegen 24 tatmehrheitlicher Fälle des fahrlässigen Verstoßes gegen die Pflicht, einem Arbeitnehmer den Mindestlohn zu zahlen sowie die erforderlichen Sozialbeiträge abzuführen, vom Amtsgericht Erfurt zu einer Geldbuße von 6000 € verurteilt. Der Tatzeitraum war März 2005 bis Februar 2007.
Das Strafverfahren der Staatsanwaltschaft Meiningen, Az. 461 Js 15705/08, in dem der Betroffenen zur Last gelegt wurde, für den Zeitraum März 2005 bis Februar 2007 Beiträge zur Sozialversicherung nicht abgeführt zu haben, was eine Straftat nach § 266a Abs. 1 und 2 StGB darstelle, wurde am 3.2.2009 nach § 153a StPO endgültig eingestellt.
Am 30.4.2009 legte die Staatsanwaltschaft Erfurt gegen das Urteil vom 27.4.2009 Rechtsbeschwerde ein. Die Urteilsgründe gingen am 4.6.2009 bei der Staatsanwaltschaft Erfurt ein.
Am 24.6.2009 ging die Rechtsbeschwerdebegründung beim Amtsgericht Erfurt ein. Die Staatsanwaltschaft rügt die Verletzung materiellen Rechts. Mit der endgültigen Einstellung des Strafverfahrens 461 Js 15705/08 liege ein Verfahrenshindernis vor. Denn zwischen der damit verfolgten Straftat und der hier verfahrensgegenständlichen Ordnungswidrigkeit bestehe Tatidentität.
Die Thüringer Generalstaatsanwaltschaft ist der Rechtsbeschwerde beigetreten und beantragt, das Urteil vom 27.4.2009 aufzuheben und das Verfahren einzustellen.
II. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig nach § 79 Abs. 1 Nr. 1 OWiG, form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.
Sie ist in der Sache auch begründet und führt zur Aufhebung des Urteils und Einstellung des Verfahrens.
Der Senat legt seiner Prüfung den in der Verhandlung verkündeten Tenor zugrunde, der in das mit Gründen versehene Urteil falsch übernommen wurde.
1. Das Urteil wäre schon aufzuheben und die Sache zurückzuverweisen gewesen, weil eine Verurteilung auch wegen des Unterlassens der Abführung "der erforderlichen Sozialbeiträge" erfolgte, ohne dass dazu in den Urteilsgründen irgendetwas festgestellt würde. Unter Zugrundelegung des Bußgeldbescheids kann davon ausgegangen werden, dass hiermit nicht die Beiträge zur gesetzlichen Sozialversicherung, sondern lediglich zur Urlaubs- und Lohnausgleichskasse der Bauwirtschaft (ULAK) gemeint waren.
2. Vorrangig war jedoch die Aufhebung des Urteils unter endgültiger Einstellung des Verfahrens nach § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, § 354 Abs. 1 StPO.
Für die Verfolgung als Ordnungswidrigkeit nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 des Arbeitnehmerentsendegesetzes in der damals geltenden Fassung liegt ein Verfahrenshindernis vor. Die Ahndung verstößt gegen das Verbot der Doppelverfolgung aus § 84 Abs. 1 OWiG. Eine endgültige Einstellung eines Strafverfahrens nach § 153a StPO führt zum 'Strafklageverbrauch', jedenfalls soweit es um eine Ahndung als Vergehen oder Ordnungswidrigkeit geht (vgl. § 153a Abs. 1 Satz 5 StPO; Meyer-Goßner, StPO, 52. Aufl., § 153a Rn. 35, 45, 52 m.w.N.).
Bei den Gegenständen des Verfahrens 461 Js 15705/08 der Staatsanwaltschaft Meiningen und der hier vorliegenden Sache handelt es sich um eine Tat im prozessualen Sinn nach § 264 StPO.
Dabei kommt es nicht darauf an, ob materiell-rechtlich von Tateinheit oder Tatmehrheit auszugehen ist. Zwar hat das Amtgericht Erfurt zwischen der (Berechnung und) Zahlung der Beiträge zur ULAK und der Löhne - ohne nähere Begründung - Tateinheit angenommen. Ob allerdings tatsächlich Tateinheit anzunehmen ist, ist fraglich, da in dem vergleichbaren Fall der Nichtanmeldung und -abführung von Sozialversicherungsbeiträgen nach § 266a StGB einerseits und Lohnsteuerhinterziehung nach § 370 AO andererseits, in dem ebenfalls aufgrund eines Berechnungsvorgangs mehrere Anmeldungen bzw. Zahlungen aufgrund eines Arbeitsverhältnisses nicht erfolgen, Tatmehrheit angenommen wird (vgl. BGHSt 38, 285).
Hier wird der Betroffenen zur Last gelegt, für den Arbeitnehmer Dörnfeld nicht den nach dem Arbeitnehmerentsendegesetz (AEntG) vorgeschriebenen Mindestlohn gezahlt zu haben. Sie hatte mit dem Arbeitnehmer einen darunter liegenden Stundenlohn vereinbart, die Stundenlöhne und darauf entfallenden Sozialversicherungsbeiträge durch ein Steuerberatungsbüro berechnen lassen und dann die Auszahlungen dementsprechen...