Entscheidungsstichwort (Thema)
Mögliche Nichtigkeit einer Vertragsbestimmung, die bei der Vertragsdurchführung ohne Bedeutung geblieben ist
Leitsatz (amtlich)
1. Aus dem vereinbarten weitgehenden Ausschluss des Betreuungsunterhalts ergibt sich keine unzumutbare Lastenverteilung, wenn der Ehefrau auch dann kein Anspruch auf Betreuungsunterhalt zusteht, wenn sie den Ehevertrag nicht abgeschlossen hätte.
2. Hinsichtlich der Ausübungskontrolle begegnet der weitgehende Ausschluss des Betreuungsunterhalts ebenfalls keinen Bedenken, wenn er dem von den Eheleuten angestrebten und gelebten Ehetyp entsprach und die Ehefrau keine ehebedingten Nachteile erlitten hat.
3. Die Nichtigkeit kann gem. § 139 BGB nicht aus einer Bestimmung hergeleitet werden, die bei der Vertragsdurchführung bedeutungslos geblieben ist.
Normenkette
BGB §§ 139, 242, 1571-1572, 1573 Abs. 2, §§ 1576, 1408
Verfahrensgang
AG Erfurt (Aktenzeichen 36 F 453/04) |
Tenor
Der Antragsgegnerin wird Prozesskostenhilfe für die Berufungsinstanz verweigert.
Gründe
I. Die Rechtsverfolgung der Antragsgegnerin in der Berufungsinstanz hat nach dem gegenwärtigen Sach- und Streitstand keine Aussicht auf Erfolg; ihr war daher Prozesskostenhilfe auf den erneut gestellten Antrag aus dem Schriftsatz vom 28.12.2009 zu verweigern.
Der Antragsteller schuldet der Antragsgegnerin aus dem Urteil des AG - Familiengericht - Erfurt vom 20.11.2008 (Az. 36 F 274/04, Bl. 736-753 d.A.) monatlichen Trennungsunterhalt bis zur Rechtskraft der Ehescheidung (28.7.2009), der zuletzt monatlich (ab dem 1.9.2008) 1644 EUR zzgl. eines Altersvorsorgeunterhalts i.H.v. 490 EUR betrug.
Aus der Ehe ist die am 24.7.1996 geborene L.V. hervorgegangen.
Die Parteien haben am 27.9.1995 einen Ehevertrag vor der Notarin M. in E.t (Urkunden-Nr.: 1351/1995) abgeschlossen. Die Parteien haben den Ausschluss des Zugewinns, des Versorgungsausgleiches und des Unterhalts gemäß den §§ 1569 ff. BGB vereinbart.
Ziff. II.2., letzter Absatz lautet:
"Für den Fall, dass sich nachträglich Umstände ergeben, die die Nichtigkeit bzw. Sittenwidrigkeit des vorstehend vereinbarten Unterhaltsverzichts zur Folge haben, vereinbaren die Parteien bereits jetzt, dass Unterhalt nur in Höhe des notwendigen Eigenbedarfs entsprechend der jeweiligen Düsseldorfer Tabelle geschuldet wird" und
Ziff. IV:
"Sollte eine Bestimmung dieser Urkunde aus irgendeinem Grunde unwirksam oder anfechtbar sein oder werden, so soll der übrige Teil hiervon unberührt, vielmehr sinngemäß ausgeführt werden. Der unwirksam oder unwirksam gewordene Teil ist durch diejenige zulässige Regelung zu ersetzen, die den Zweck des unzulässigen Teils mit der weitestgehend möglichen Annäherung erreicht".
Wegen des Sach- und Streitstandes I. Instanz wird auf das angefochtene Urteil vom 19.3.2009 Bezug genommen (Bl. 580 - 600 d.A.).
Das AG hat die am 28.9.1995 geschlossene Ehe geschieden und die Anträge der Antragsgegnerin auf nachehelichen Unterhalt, Zugewinnausgleich und Versorgungsausgleich zurückgewiesen.
Das AG hat zur Begründung ausgeführt, die Antragsgegnerin sei zur Anfechtung der notariellen Vereinbarung vom 27.9.1995 gem. § 119 BGB wegen eines Inhalts- oder Erklärungsirrtums nicht berechtigt, da es an der schlüssigen Behauptung eines Anfechtungsgrundes fehle. Die Behauptung, die Antragsgegnerin habe den Vertrag nicht verstanden, begründe eine Anfechtung nicht.
Die Antragsgegnerin sei auch nicht zur Anfechtung gem. § 123 BGB berechtigt, da es an einer Täuschungshandlung fehle. Der Zeuge Dr. J. sei erst im Jahre 2002 mit dem Ehevertrag konfrontiert gewesen. Es könne allenfalls davon ausgegangen werden, dass der Abschluss einer Lebensversicherung dem Willen des Antragstellers im Jahre 2002 entsprach.
Der notarielle Vertrag sei nicht gem. § 138 BGB nichtig. Das AG stützt sich auf das Urteil des BGH vom 11.2.2004 und führt weiter unter Hinweis auf eine Entscheidung des BGH vom 22.11.2007 aus, dass der Ehevertrag keine - bereits im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses offenkundige - einseitige Lastenverteilung für den Scheidungsfall bewirke.
Im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses seien beide Parteien berufstätig gewesen. Die Antragsgegnerin habe seit 1990 in dem Autohaus gearbeitet und zwar bis zu ihrem Ausscheiden im Jahre 2003. Die Geburt von L. habe lediglich zu organisatorischen Veränderungen geführt. In 1995 habe die Antragsgegnerin über ein Nettoeinkommen i.H.v. 30.855 EUR verfügt. Offen sei, in welchem Umfange die Antragsgegnerin am Aufbau des Unternehmens mitgewirkt habe. Zwischen den Parteien sei streitig, inwieweit die Antragsgegnerin bei mehreren Kindern berufstätig bleiben sollte. Die Antragsgegnerin sei mit Ausnahme von Krankheitsunterbrechungen vollzeitbeschäftigt gewesen. Die Aufnahme der Ausbildung zur Steuerfachgehilfin belege die Wertigkeit der Berufstätigkeit in der Ehe. Es sei grundsätzlich davon auszugehen, dass die Antragsgegnerin im Zeitpunkt der Eheschließung wirtschaftlich unabhängig gewesen sei.
Die Antragsgegnerin habe für die Verbindlichkeiten des Unternehmens nicht mitg...